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Wir sind alle Islaender

Titel: Wir sind alle Islaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halldór Gudmundsson
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dieses Buches gegenüber betonte: Kriminelle Machenschaften bringen kaum das gesamte Finanzwesen eines Landes zu Fall. Da wiegt etwas anderes viel schwerer: Inkompetenz. Sowie die Habgier der Haupteigentümer und Direktoren der Banken, die sich immer weiter aus dem Fenster lehnten in ihrem Expansionsdrang. Die Unfähigkeit derselben, die Kreditfirmen durch die Sturmwellen der Krise zu steuern. Und gleichzeitig die immer heikleren und hektischen Rettungsmaßnahmen, zu denen man griff. All dies führte schließlich zum Zusammenbruch des gesamten Systems.
    Moralisch fragwürdig war das Benehmen der Banken auf jeden Fall, weit über den erwähnten Zusammenhang von Krediten und Eigenkapitalbildung hinausgehend. Davon weiß beispielsweise Vilborg Oddsdottir vom Hilfswerk der evangelischen Kirche in Island zu berichten. Viele, die sich als Opfer der Banken sehen, suchen hier Hilfe. Menschen, die Invalidenrente oder Arbeitslosenunterstützung beziehen und denen am Monatsende nichts übrig bleibt. Vor fünf oder sechs Jahren, so Vilborg, sei es zunehmend auch bei ihnen üblich geworden, alles Finanzielle über ein Girokonto bei der Bank zu regeln. Dabei blieben sich die Einnahmen meist jahrelang gleich. Die Bank wusste also genau über das Einkommen dieser Kunden Bescheid. Trotzdem stattete man sie mit Kreditkarten und Ähnlichem aus, gab ihnen Darlehen, räumte ihnen sogar Kreditlinien ein, denen keine vernünftigen Grenzen gesetzt waren. Bald zahlten diese Leute den Großteil ihrer Einnahmen als Zinsen an die Bank. Die Rente ging direkt aufs Bankkonto, manchmal auch Kindergeld oder Ähnliches. Als dann die Banken vor ein, zwei Jahren rigider wurden, den Leuten
die Kreditkarten abnahmen und ihnen die Kredite kündigten, begannen sie dieses Geld zurückzuhalten. Den entsprechenden Kunden zahlten sie so vielleicht zehntausend Kronen die Woche aus, während sie den Rest zur Zahlung von Zinsen und Tilgung einbehielten. Die alleinerziehende, behinderte Mutter auf Invalidenrente war zur Geisel der Bank geworden, sagt Vilborg. Jahrelang prangerte sie diesen Zustand in Vorträgen und auf Tagungen öffentlich an, ohne dass es irgendeinen Menschen interessiert hätte. Das gleiche Servicepersonal, das seinen Kunden früher alle möglichen Kredite anbot, hielt nun ihre wenigen Einnahmen zurück. Die Banken hatten eine gesellschaftliche Funktion übernommen, die ihnen nicht zustand. Und so ist es immer noch.
    Womit wir bei einem wichtigen Punkt sind: der Stellung der Banken in der westlichen Welt in den zurückliegenden Jahrzehnten, in denen »der Markt zur heiligen Kuh, die Privatisierung zur Ideologie« wurde und man darüber vergaß, »dass Freiheit und Gleichheit zwei gleichberechtigte Forderungen sind«, um einen hellsichtigen Artikel von Ingo Schulze Anfang März in der Süddeutschen Zeitung zu zitieren. Auf Island jedenfalls wurde diese Entwicklung ad absurdum geführt. Der Sozialforscher Stefan Olafsson betrachtet Island gar als »neoliberalistisches Experiment der Welt« ( Morgunbladid, 6. März 2009). In Zahlen hat er die Entwicklung so umrissen: ein Prozent der bestverdienenden isländischen Ehepaare verdiente 1993 4,2 Prozent des Gesamteinkommens der Bevölkerung. 2007 war ihr Anteil auf 19,8 Prozent gestiegen. Die bestverdienenden zehn Prozent erhielten 1993 zwanzig Prozent der Gesamteinnahmen, im Jahre 2007 über vierzig Prozent. Gleichzeitig war das Steuersystem so umgebaut worden,
dass Kapitaleinnahmen viel niedriger als Lohneinkünfte besteuert wurden, was wiederum dazu führte, dass die Steuerlast von Bestverdienenden ungefähr um ein Drittel geringer ausfällt als die der isländischen Durchschnittsfamilie. Alles konsequente Schritte, um die Gleichheit zu mindern und die Reichen reicher zu machen, was wiederum in einer kleinen Gesellschaft wie der isländischen besonders problematisch ist und leichter sichtbar wird.
    Alles in allem vertraute man dem Markt mehr und mehr gesellschaftliche Aufgaben an, und bis vor kurzem schien dies auch keine schlechte Strategie. Aber wie der Zusammenbruch des Bankenwesens zeigte, war es ein Pyrrhus-Sieg des Marktes über die Politik. Es war an der Zeit, umzudenken. Ende 2008 wollte sich die isländische Bevölkerung nicht mehr damit abfinden, dass keiner ihrer politischen Führer Verantwortung für das Desaster übernahm. Bald darauf begann die so genannte Kochtopfrevolution.

Die Kochtopfrevolution
    Es heißt, wenige Nationen hätten Unterdrückung und Gewalt mit größerer

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