Wir sind alle Islaender
einem auch dies tragisch oder jedenfalls tragikomisch vor.
»Ich saß gerade in einem Plenum über die Situation der Frauen und der Entwicklungshilfe in Afrika, als mir schwindelig wurde. Ich konnte noch meinen Beitrag leisten, und plötzlich war mir, als ob ich ohnmächtig werde. Ich schlich mich aus dem Plenum und musste mich dann in jeden zweiten Papierkorb der UN übergeben. Noch am selben Tag wurde ich medizinisch untersucht. Man stellte umgehend einen Gehirntumor fest und meinte, ich solle ihn am besten gleich in New York operieren lassen. Die isländischen Ärzte, die ich telefonisch konsultierte, waren derselben Meinung.«
»Anfangs war mir der Ernst der Lage überhaupt nicht bewusst. Man sagte mir gleich, dass der Tumor – den ich wohl schon seit meiner Jugend im Kopf hatte – gutartig sei. Allerdings
hatte er jetzt offensichtlich zu wachsen begonnen, was auf jeden Fall eine gefährliche Sache war. Ich sah das aber eher kühl und sagte mir, dass so etwas eben einem gewissen Prozentteil der Bevölkerung passiert, ›shit happens‹, es ging nur darum, den Tumor wegzuoperieren, und damit hatte es sich. Es ist ja gutartig, dachte ich.«
»Die Operation sollte am nächsten Montag (dem 29.9.) stattfinden. Am Freitag rief mich Geir Haarde an und sagte, er wolle nach Hause, er habe seine Geschäfte erledigt, und es gäbe da Gerüchte um die Glitnir Bank, im Flieger am Nachmittag wäre noch Platz, und er wolle jetzt los. Ich hatte nichts dagegen einzuwenden. Am Sonntag, und das habe ich bisher nicht öffentlich erzählt, rief mich dann Rechtsanwalt Gestur Jonsson an, der mir sagte, es fänden inzwischen ununterbrochen Krisensitzungen wegen Glitnir statt, mit dem Premierminister und dem Zentralbankchef und allen möglichen Menschen mehr. Ob wir, die Sozialdemokraten, gar nicht mit dabei wären und nicht Bescheid wüssten?«
Gestur Jonsson ist der Anwalt von Jon Asgeir Johannesson, dem Haupteigentümer der Baugur-Group und gleichzeitig Großaktionär von Glitnir.
»Ich dachte, unmöglich, das sind sicher nur vorbereitende Gespräche. Rief aber trotzdem Geir Haarde an, der mir erklärte, ja, Glitnir sei fertig, und man bespreche eine Übernahme. Und ich erfahre das Ganze zufällig von einem Rechtsanwalt! Das muss man sich mal vorstellen. Da muss doch jemand von uns mit dabei sein, sage ich – sogar unser Handelsminister, der für die Banken verantwortlich ist, wusste von nichts. Ich rufe also Össur Skarphedinsson an (den Industrieminister und noch immer zweiter Mann der Partei). Er ist gerade unterwegs ins
Fitnessstudio, und ich bitte ihn, umgehend an diesen Gesprächen teilzunehmen. Aber da war alles schon gelaufen, David Oddsson hatte die Übernahme bereits vorbereitet. Noch in der Nacht vor der Operation plagte mich der Gedanke, wie unmöglich und bizarr das alles war, nicht nur weil eine Bank vom Staat übernommen würde, sondern auch wegen der Akteure: David Oddsson und Jon Asgeir Johannesson.«
Und tatsächlich: Zwischen David und Jon Asgeir gab es schon seit Jahren Streit. Als Premierminister hatte David den reichsten Mann des Landes einmal beschuldigt, er hätte ihn bestechen wollen, und Jon Asgeir war der Ansicht, David wolle seine Firmen mit allen Mitteln, unter anderem dem Mediengesetz, kleinhalten.
»Ich dachte, wenn die zwei morgen wieder die Hauptakteure sind, wird jeder das Ganze mit großem Misstrauen aufnehmen. Ich habe Geir Haarde diesbezüglich eine SMS geschickt, noch kurz vor der Operation. Aber es war nichts mehr zu machen.«
Die Übernahme von Glitnir erfolgte, nachdem die Bankchefs von Glitnir zur Zentralbank gegangen waren, um die Möglichkeit eines Notdarlehens zur Rettung der Bank zu besprechen. Auf die in Island oft diskutierte Frage, ob die Übernahme von Glitnir ein falscher Schritt gewesen wäre, antwortet Ingibjörg mit einem klaren Nein:
»Die Übernahme hätte sicher besser vorbereitet und begleitet werden müssen. Aber ich frage mich oft, wieso in aller Welt diese Leute (der Vorstandschef und der Aufsichtsratsvorsitzende der Bank) zuerst zur Zentralbank gegangen sind anstatt zur Regierung. Nachdem die Zentralbank über den Ernst der Lage aufgeklärt worden war, hatte sie ja die
Pflicht, eine öffentliche Erklärung von sich zu geben, und das musste am Montag erfolgen. Und hätte man der Bank diesen Kredit gewährt, wäre das weggeworfenes Geld gewesen. Der nächste große Zahlungstermin stand kurz bevor. Man darf nicht vergessen, diese Leute hatten uns belogen. Die
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