Wir sind alle Islaender
umstrittenes Werk im Osten Islands) protestiert; ich bin also die typische Linke, die gegen Kriege demonstriert, ich habe wer-weiß-wie-viele Kundgebungen
besucht, an denen gerade mal fünfzehn Menschen teilnahmen, und plötzlich stehen da Tausende auf Austurvöllur. Mit Forderungen, die man eigentlich nur aus Retro-Witzen kannte, wie zum Beispiel nach einem höheren Steuersatz für Gutverdienende. Und wo bin ich? Auf einer Urlaubsreise im Ausland, wo ich den Dollar für einhundertvierzig Kronen (das Doppelte des bisherigen Wertes) tauschen muss!«
»Noch im Ausland habe ich mich dann über Facebook bei der so genannten Notstandsregierung der Frauen eingetragen, das waren hauptsächlich Frauen aus der Feministischen Union, die sich diesen Begriff einfallen ließen. Die ursprüngliche Absicht bestand darin, in dieser Notlage eine ›neue Regierung‹ zu präsentieren, die die Dinge endlich in die Hand nehmen würde: Geir Haarde hat ja dauernd Pressekonferenzen abgehalten, aber doch nichts gesagt, und die Regierung schien gar nichts zu tun. Wir wollten zeigen, wo es langgeht. Das Wichtigste war uns, mitten in der Krise an das Prinzip der Gleichberechtigung zu erinnern. Aus dem Ausland wussten wir, dass eine ökonomische Krise Männer und Frauen nicht unbedingt gleichermaßen trifft. Nehmen wir zum Beispiel die Vorschläge des Gesundheitsministers der Großen Koalition, Gudlaugur Thor Thordarson, zu Einkürzungen in seinem Sektor. Da wollte man viele Arbeitsplätze einsparen, die hauptsächlich von Frauen besetzt waren. Streicht man jedoch die entsprechenden Stellen in den Krankenhäusern, fällt die Arbeit zu Hause an, wo sie dann wieder – diesmal kostenlos – hauptsächlich von Frauen erledigt wird. Gleichzeitig redet man von arbeitsbeschaffenden Maßnahmen und meint damit diese typische Industriearbeit für Männer, Brückenbauen und solche Sachen. Hier wollte die ›Notstandsregierung der Frauen‹ sich
zu Wort melden, aber die Bewegung kam nicht wirklich in Schwung und ist jetzt wieder eingeschlafen.«
Audur Alfifa lebt in einer kleinen Wohnung in der Innenstadt, die sie mit einer Freundin teilt. Wir fragen sie trotzdem, ob sie am Aufschwung der letzten Jahre teilgehabt hat.
»Mein Arbeitsplatz war ja typisch für die Wachstumsjahre, aber ich selber habe keine großen Schulden und muss nur mich alleine versorgen. Während meiner Amerikareise bekam ich ja noch meinen Lohn wegen der Kündigungsfrist. Jetzt erhalte ich Arbeitslosengeld und habe mich darüber hinaus für ein Studium der Kulturwissenschaft an der Uni eingeschrieben; damit ich weiterhin Arbeitslosenunterstützung erhalte, darf ich allerdings nur ein 30-Prozent-Studium aufnehmen. Aber wenn ich nur Fischklöße esse, komme ich schon damit zurecht.«
Audur Alfifa ist eine selbstbewusste junge Frau, die gerne ein sinnvolles Leben führen will. Wie war der erste Gang zum Arbeitsamt, um sich als arbeitslos registrieren zu lassen?
»In Island kommt es ja fast einer Gotteslästerung gleich, keine Arbeit zu haben, am besten sollte man sich neben seinem eigentlichen Job auch noch nach einem Extrajob sehnen. Hier haben ja alle doppelt gearbeitet. Ich war auch früher schon mal ohne Beschäftigung, aber ohne Arbeitslosengeld zu beziehen, ich habe dann einfach Urlaub gemacht; ich mache gerne Urlaub und schätze meine Freizeit sehr, ich stricke gerne und schaffe es, gut und billig im Lande herumzureisen, aber das darf man ja hierzulande nicht sagen, das ist blasphemisch. Als ich meinen Job verloren habe, habe ich deshalb gedacht, schöne Scheiße, aber dann beantrage ich eben Arbeitslosengeld. Damit meine ich nicht, dass ich keinen neuen Job will, im
Gegenteil, aber ich möchte momentan lieber Arbeitslosengeld beziehen und zu Hause sein, stricken und Reisepläne machen, als irgendwo für genau so wenig Geld die Putzfrau zu spielen. Da bin ich ehrlich.«
»Zum Arbeitsamt bin ich mit der Einstellung gegangen, dass ich mir das Arbeitslosengeld verdient habe. Das ist schon in Ordnung, dachte ich mir, die gesellschaftlichen Verhältnisse sind einfach so, come on. Und dann war es doch nicht so wie gedacht. Mir war irgendwie, als ob ich schwänzte. Die Leute im Arbeitsamt sind ganz nett, aber trotzdem … fast zehn Prozent der Bevölkerung sind plötzlich arbeitslos, weil das Finanzsystem kollabierte, und dennoch schämen sich die Menschen. Öffentlich wird immer gesagt, es sei keine Schande, seinen Job zu verlieren, und doch fühlt es sich so an. Das Letzte, was
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