Wir sind alle Islaender
Manager aller drei Banken hatten uns erzählt, dass die Finanzierung bis Jahresende gesichert wäre, ja sogar bis ins Jahr 2009 hinein. Und dann kamen sie plötzlich und brauchten dringend Geld, weil sie ums Überleben kämpften? Was sollte man da glauben?«
»Eine Woche später, als Geir Haarde seine berühmte Ansprache hielt, hatte man mich schon aus dem Krankenhaus entlassen. Ich fuhr in die isländische Botschaft von New York, um dort die Rede live zu verfolgen. Ich wusste natürlich, worum es ging, im Gegensatz zur breiten Öffentlichkeit, die nach der Rede auch nicht schlauer war. Es war eher, als ob jemand erzählte, eine riesige Schneelawine sei abgegangen, ohne genau zu sagen, wo oder was man deswegen zu unternehmen gedenke. Die Regierung hatte ein Kommunikationsproblem, und das bestand auch weiter. Mir selber blieb nichts anderes übrig, als die Geschehnisse aus der Ferne zu verfolgen, und ich fühlte mich ziemlich isoliert und ohnmächtig, auch wenn ich jeden Nachmittag einen Bericht über die Ereignisse vor Ort bekam.«
Zehn Tage nach dem Sturz der Banken stimmten die Vereinten Nationen über die freien Sitze im Sicherheitsrat ab. Österreich und die Türkei bekamen den Zuschlag, Island ging leer aus. Aber zu dieser Zeit hatte man auf Island bereits andere Sorgen und kam sich in jeder Hinsicht wie der größte Loser auf dem internationalen Parkett vor. Kurz danach flog
Ingibjörg Solrun nach Hause. Hatte sie der Kollaps des Finanzsystems ebenso überrascht wie die meisten Isländer?
»Dass es so drastisch, so abrupt kommen würde, das hatte ich nicht erwartet. Dass die Expansion der isländischen Banken irgendwann zu einem natürlichen Ende kommen würde, darüber war ich mir im Klaren, aber nicht, dass es so dramatisch werden würde. Es war natürlich schon lange ziemlich verrückt zugegangen, diese ständigen Kredite, diese endlosen Aufkäufe auf Pump von Firmen, die dann aufgeteilt und wieder verkauft wurden, immer gewinnbringend den Bilanzen zufolge. Dabei wuchs natürlich nur die Verschuldung. Wir hatten es ja mit drei Blasen zu tun: der Immobilienblase, der Aktienblase und der Währungsblase. Die Währung der Krone, die ganz und gar unrealistische Höhen erreicht hatte, kam dabei als Erstes zu Schaden.«
Dieser Sachverhalt ist inzwischen hinreichend bekannt, aber ich muss natürlich auch mit meiner alten Freundin über Verantwortung und Schuld sprechen. Die isländischen Politiker taten sich schwer damit, Verantwortung zu übernehmen, in den ersten Monaten trat kein einziger von ihnen zurück. Hätten sie nicht früher reagieren müssen? Die Währung fiel ja bereits im März 2008 drastisch – bestand nicht da schon dringender Handlungsbedarf?
»Das mag sein, und natürlich habe ich mir auch darüber in der Vergangenheit Gedanken gemacht. Ich glaube, der Fehler oder vielleicht meine Sünde bestand darin, dass ich mich zu sehr auf Experten und Fachleute verlassen habe. Ich nahm an vielen Sitzungen der Zentralbank teil, und natürlich griff Zentralbankchef David Oddsson in geheimer Runde zu harten Worten: Die Expansion sei der reinste Unsinn, die Akteure
seien alles Kriminelle und so weiter und so fort. Aber für mich war das alles nicht wirklich überzeugend, und ich wusste nie, ob persönliche Fehden im Hintergrund standen oder nicht. Mir war natürlich klar, dass da etwas nicht stimmte, aber ich wusste auch, dass die Zentralbank und die Finanzaufsicht ihre Mittel hatten, um regulierend einzugreifen. Mir war beispielsweise bekannt, dass die skandinavischen Kollegen und die europäische Zentralbank in Gesprächen mit der isländischen Zentralbank darauf bestanden hatten, dass der Internationale Währungsfonds das isländische Bankwesen prüfen, sozusagen ein Gesundheitsattest ausstellen sollte. Und dass sie von der Zentralbank und der Finanzaufsicht verlangten, dass sie von ihren Mitteln Gebrauch machten, um die isländischen Banken auf Kurs zu bringen. Und ich dachte, das tun sie sicher auch, wenden ihre Mittel an, um den Anweisungen der skandinavischen und europäischen Zentralbanken zu folgen. Man könnte vielleicht sagen, es war ein Fehler, nicht genauer verfolgt zu haben, zu welchen Maßnahmen tatsächlich gegriffen wurde.«
In Island, wie in vielen anderen Ländern auch, hatte der Markt jahrelang mehr und mehr Aufgaben des Staates und der Politik übernommen. Wenn die Politik jetzt plötzlich einschreiten sollte, um den Markt zu retten, war sie dazu überhaupt qualifiziert?
»Sicher
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