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Wir sind alle Islaender

Titel: Wir sind alle Islaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halldór Gudmundsson
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der Mann im Arbeitsamt zu mir sagte, war: ›Es ist halt so, dass die Menschen mit den spitzesten Ellenbogen auch einen Job bekommen.‹ Es wird weiter so getan, als ob es jede Menge Arbeit gäbe, obwohl es gar nicht mehr so ist.«
    »Natürlich mögen alle lieber Leute, die sich mit etwas beschäftigen, als solche, die nichts tun und sich nur schämen. Scham ist das miserabelste Gefühl, das es gibt. Es hat keinen Drive, überhaupt nicht. Nur ganz, ganz wenige sind glücklich, dass sie Arbeitslosengeld kriegen, die meisten schämen sich. Es ist sehr lange her, seit jemand hier arbeitslos war; Island hat ja eine irre Geschichte, was das angeht. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich in einem Geschäft ordentlich bedient wurde – da arbeiten nur noch dumme Teenies.«
    Wir fragen Audur Alfifa, ob sie sich an Geir Haardes Rede vom 6. Oktober erinnert.

    »Na klar. Ich habe gehört, damals hätten alle gesagt, jetzt sei der Untergang nahe, der Premierminister habe Gott gebeten, Island zu segnen. Bei mir trat keine Panik auf. Ich dachte nur, shit, muss er wirklich so einen Blödsinn reden? So was hätte normalerweise zu George Bush gepasst, der war doch immer ein wenig crazy. Aber das lag auch ein wenig an meiner Ignoranz. Ein ganzes Jahr hatte ich mich nur mit Nachrichten beschäftigt, und die ganze Zeit redeten die Leute von der Krise, und ich hatte alle Nachrichten zur Krise in allen Zeitungen, die ich zu Gesicht bekommen hatte, gelesen, und dennoch war mir nicht klar, worum es eigentlich ging. Ich fragte meine Kollegen, die tagaus, tagein Wirtschaftsberichte lasen, was dieses oder jenes eigentlich für sie persönlich bedeutete, aber keiner wusste etwas darauf zu antworten. Als das Bankensystem kollabierte, war ich also zunächst einmal ratlos.«
    »Ich empfinde trotz der Krise die gesellschaftliche Lage als nicht so besonders anders als früher. Man leistet sich nicht mehr ganz so viel Bier in der Kneipe, und es gibt mehr Arbeitslose, aber wir sind ja nicht dabei, unsere Wohnungen zu verlieren oder zu hungern. Und obwohl viele nun schwer verschuldet sind, so weiß ich doch, dass es genügend Häuser gibt. Die existieren ja. Nach all diesen Nachrichten über finanzielle Transaktionen, die kein Mensch verstand, und über Profite, die aus heiterem Himmel zu kommen schienen, ist es gut zu wissen, dass es diese Häuser tatsächlich gibt – mögen auch manche von ihnen schlecht gebaut sein. Im Grunde ist es ja so: Nach dem Kollaps wurde die Welt wieder wirklich. Das Gerede von all diesem Profit auf den Finanzmärkten war doch irgendwie unwirklich, das konnte ja nicht mit rechten Dingen zugehen. Jetzt ist die Welt wieder wahr, und ich hoffe nur, dass
wir auf diesen Ruinen eine bessere Gesellschaft bauen. Natürlich wird der ganze Quatsch irgendwann wiederkommen, in irgendeiner Form, aber trotzdem glaube ich an ein neues Island.«

Die Krise im Kopf
    Ingibjörg Solrun Gisladottir,
ehemalige Außenministerin

    »Es ist an der Zeit,
dass ich meine Niederlage anerkenne.«

    Am 29. September 2008 übernahm die Isländische Zentralbank, stellvertretend für den Staat, Dreiviertel der Aktien der isländischen Bank Glitnir. Es war der Anfang vom Ende des isländischen Banken-Abenteuers. Am selben Tag musste sich die isländische Außenministerin, Ingibjörg Solrun Gisladottir, in New York einer Gehirnoperation unterziehen. Es war der Anfang vom Ende ihrer politischen Karriere.
    Ingibjörg Solrun war schon lange die Hoffnungsträgerin der isländischen Linken. 1954 geboren, studierte sie auf Island Geschichte und Literatur. Mit dreiundzwanzig Jahren wurde sie Vorsitzende des isländischen Studentenverbandes, und fünf Jahre später saß sie für die so genannte Frauenliste im Bürgerrat von Reykjavík. Die Liste, die sich später landesweit etablierte, war eine feministische Partei und eher zur Linken zu rechnen. 1991 kam Ingibjörg Solrun für die Frauenpartei auch ins Parlament, das Althingi. In Reykjavík hatten jedoch seit Jahrzehnten die Konservativen in der Unabhängigkeitspartei das Sagen. Die Opposition war in den Nachkriegsjahren schwach und zerstritten, und ihre einzige Periode an der Macht – in den siebziger Jahren – galt als misslungen. Aber alle Oppositionsparteien hegten die Hoffnung, diese wichtigste Bastion der Unabhängigkeitspartei einmal bezwingen zu können, und 1994 stellten sie sich gemeinsam zur Wahl, mit einer Regenbogenkoalition, der so genannten Reykjavíkliste.

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