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Wir sind alle Islaender

Titel: Wir sind alle Islaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halldór Gudmundsson
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das Geld auch vernünftig zu streuen. Alles vergebens. Plötzlich standen wir mit unserer siebenköpfigen Mannschaft am Rande des Abgrunds.«

    »Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate, und wir haben allen gekündigt, eigentlich auch uns selber, und ab dem 1. November versuchte dann die gesamte Mannschaft, irgendwo Projekte aufzutreiben. Wir schmiedeten Krisenpläne, gingen allen unseren Kontakten nach, sahen uns im Ausland um, versuchten über Verbindungen in England, Deutschland, Panama und Kanada Aufträge zu bekommen, boten uns überall als Dienstleister an, wir haben alles versucht. Ohne Erfolg. Wir haben ja zahlreiche gute Kontakte ins Ausland, hatten mit den verschiedensten Leuten an unterschiedlichen Projekten gearbeitet, aber nun wollte keiner mehr mit unserem Land zu tun haben. Man traute uns nicht. Die Leute suchten sich lieber Partner in Ländern, die sicherer waren, wie zum Beispiel Indien. Lieber Indien als Island.«
    »Dennoch haben unsere Leute sich jeden Tag richtig ins Zeug gelegt, haben geackert, um neue Aufträge aufzutreiben, bis die Kündigungsfrist verstrichen war und ihnen nichts anderes übrig blieb, als nach Hause zu gehen. Ich hatte ausgerechnet, dass wir allen unseren Verpflichtungen nachkommen und unsere Schulden würden bezahlen können, und wenn der letzte Mann das Haus verlassen würde, hätten wir so ungefähr den Nullpunkt erreicht. Ich hatte auch die Bank aufgesucht, um zu sehen, über welche Wertpapiere wir noch verfügten und ob sie uns noch Kredit geben könnten und so weiter. Aber leider war dann alles noch dramatischer, als wir gedacht hatten. Unsere Rechnungen für das letzte halbe Jahr waren noch nicht beglichen worden. Nach dem 1. November hörten alle einfach auf zu zahlen. Nirgendwo floss mehr Geld. Wir mussten viele unserer Forderungen kürzen und andere abschreiben, weil unsere Auftraggeber in Konkurs gegangen waren.«

    Jakob Lindal, verheiratet und Vater von vier Kindern, erzählt nüchtern und ohne Selbstmitleid, wirkt manchmal vielleicht etwas betäubt von den Geschehnissen. Bereitwillig und nicht ohne Ironie zeigt er uns seine Bücher und Pläne, die doch bisher nichts genutzt haben.
    »Jetzt, fünf Monate später, hat sich immer noch nichts getan: keine Aufträge, keine neuen Projekte, nur ein paar Kleinigkeiten hier und da. Wir stecken wieder ganz am Anfang, als man am Küchentisch arbeitete – zu planen gibt es vielleicht eine Garage, ein Dachfenster, einen kleinen Umbau, nichts also, womit man ein Architekturbüro betreiben kann. Im Büro sitzen nur noch wir zwei Eigentümer und ein Techniker, der halbtags arbeitet. Meine persönlichen Ersparnisse sind dahin, wir sitzen in einer Firma, die Schulden sammelt. Letzten Sommer machten wir noch den Fehler, uns ein Sommerhaus zu bauen. Wir hatten so ein Projekt mit neun Sommerhäusern am Laufen und dachten, eins davon nehmen wir, im Notfall kann man es ja immer noch verkaufen. Jetzt haben wir zwar das Sommerhaus, aber wir können es höchstens für einen Bruchteil dessen, was wir investiert haben, wieder losschlagen. Um es zu bauen, haben wir ein Darlehen von fünfzehn Millionen Kronen in ausländischen Devisen aufgenommen. Das beläuft sich jetzt auf dreißig Millionen. Dabei haben wir selbst ungefähr fünfunddreißig Millionen in das Haus gesteckt, und jetzt könnten wir es allerhöchstens für zwanzig Millionen verkaufen, wenn überhaupt. So ist das, wenn die Ersparnisse schwinden und die Schulden sich anhäufen.«
    Hat Jakob damit gerechnet, dass so eine Situation eintreten könnte?
    »Nein, vor dem Fall der Banken gar nicht. Nach dem Sturz
von Kaupthing habe ich zu meinem Bruder in Kanada gesagt, es würde mich nicht wundern, wenn in einem halben Jahr mein ganzes Geld weg wäre. Und so ist es ja auch gekommen. Aber ich will nicht klagen, persönlich geht es mir gar nicht so schlecht. Solange sie mir die Kreditkarten nicht ganz abnehmen …«
    Kann Jakob sich vorstellen, einen anderen Job anzunehmen?
    »Wenn ich das täte, würde ich das hier, mein Architekturbüro, meine Verpflichtungen, einfach alles, aufgeben, und vielleicht ist es ja wirklich bald so weit. Aber eigentlich bin ich immer noch wie betäubt. Ich sitze hier und hoffe, dass etwas passiert. Was? Keine Ahnung. Da draußen herrscht immer noch Nebel, und wenn der sich lichtet, dann ist es vielleicht an der Zeit, solch drastische Entscheidungen zu treffen.«
    »Dabei war ich immer Optimist. Bei mir war das Glas immer halb voll, ich habe immer die

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