Wir sind alle Islaender
hatten Glück, haben ein schönes kleines Haus von hundertzehn Quadratmetern für dreißig Millionen kaufen können. Ein Drittel konnten wir selber bezahlen, zwei Drittel bekamen wir von der Bank geliehen, mit einem so genannten Devisendarlehen (Kredit in gemischter ausländischer Währung, den die Banken häufig zum Immobilienkauf anboten). Und anfangs sah das ja alles sehr gut aus. Die Abzahlung betrug um die einhundertzwanzigtausend Kronen im Monat, und das bereitete uns keine Schwierigkeiten, wir konnten sogar etwas zurücklegen und unseren Kindern finanziell ein wenig unter die Arme greifen.«
»Mir war es immer wichtig, den Kredit punktgenau zu bedienen. Das hat mir auch mein Vater, der Fischerkapitän an den Westfjorden war, beigebracht. Nie Schulden anzuhäufen. Das war sozusagen meine Erziehung: man sollte ehrlich sein, immer zu seinem Wort stehen, immer seine Verpflichtungen erfüllen. Erst sein Geld verdienen und dann ausgeben. Abgesehen von der Hypothek wegen des Hauses habe ich alle Schulden vermieden; Kauf auf Raten, Kreditkarte und ähnliche Sachen, das alles wollte ich nie mitmachen. Bis zum Oktober 2008 hatten wir keinerlei finanzielle Probleme.«
»Aber dann kippte das Ganze auf einmal. Die Novemberzahlung sollte, nach dem Sturz der Banken, weder hunderttausend noch einhundertzwanzigtausend, sie sollte dreihundertvierzigtausend betragen. Die Banken waren pleitegegangen, die Krone war abgestürzt, unser Hypothekendarlehen belief sich nicht mehr auf zwanzig, sondern auf ungefähr fünfundvierzig
Millionen. Viel mehr, als das Haus überhaupt wert ist. Die zehn Millionen Ersparnisse, die wir anfangs noch hatten, waren schnell weg. Es war ausgeschlossen, dass wir monatlich dreihundertvierzigtausend zahlen konnten. Da beschloss ich, einen Leserbrief im Morgunbladid zu veröffentlichen. Ich habe einfach ehrlich über meine finanzielle Situation berichtet und viele Reaktionen bekommen. Ich wurde im Radio interviewt und dann einen Tag lang in den Nachrichten immer als Beispiel dafür aufgeführt, was schieflief bei gewöhnlichen Leuten wie mir. Was eigentlich absurd war, denn mit mir hatte das Ganze ja wenig zu tun. Vor der Krise war mir ja so was noch nie passiert! Aber was mich noch viel mehr nervte, war dieses ewige Gerede der Politiker, jetzt müssten wir Isländer zusammenhalten und Solidarität zeigen. Deswegen habe ich mich entschlossen, noch einen Leserbrief zu schreiben, einen offenen Brief an die Regierenden sozusagen.«
AUS MARIAS LESERBRIEF ÜBER DEN ZUSAMMENHALT
Zusammenhalt ist für die meisten eine gute Sache. Und eigentlich ganz selbstverständlich. Ich sehe mich auch durchaus als einen positiven und optimistischen Menschen.
Bei Katastrophen halten wir Isländer zusammen. Das zeigte sich neulich bei den großen Erdbeben im Südland (Mai 2008), aber auch beim Tsunami in Asien (Weihnachten 2004). Bei Spendenaktionen, zum Beispiel in Fernsehsendungen, haben die Isländer immer freudig mitgemacht. Den gleichen Zusammenhalt merkt man auch bei epidemischen Krankheiten.
Zusammenhalt, wenn das Schicksal unerwartet, ohne menschliches Zutun, zuschlägt, ist etwas ganz Natürliches.
Aber was in der isländischen Wirtschaft im Herbst 2008 geschah, der Kollaps des Bankenwesens, war weder eine Naturkatastrophe noch eine Epidemie.
Ich finde deshalb, dass die Politiker mich missbrauchen, mein Gewissen, meinen Optimismus, meine Fähigkeit zu verzeihen, wenn sie mich jetzt um Zusammenhalt bitten. So weit sind wir noch nicht.
Dennoch fällt es mir schwer, mich dem Appell zu verweigern. Ich habe ansatzweise ein schlechtes Gewissen, komme mir negativ und pessimistisch vor, weil ich keine Lust habe, Zusammenhalt zu zeigen. Die Regierenden, denen ich vertraut habe, verlangen mir etwas ab, wogegen sich alles in mir sträubt.
Natürlich will ich meinen Beitrag leisten, damit mein Volk aus den Ruinen auferstehen kann. Aber diese Ruinen sind von Menschen geschaffen, sie sind nicht die Folge von Naturkatastrophen. Deswegen finde ich wie viele andere, wir sollten erst nach den Verantwortlichen suchen, bevor wir unseren Zusammenhalt unter Beweis stellen.
Bevor nicht irgendjemand sich verantwortlich erklärt hat und mich um Entschuldigung bittet, bin ich nicht bereit, solidarisch zu sein. Ich finde es ungerecht, wenn die Politiker an mein Gewissen appellieren und sagen, wir sollten jetzt nicht zurückblicken und nach Sündenböcken suchen, sondern nur nach vorne schauen und uns zusammennehmen.
So machen wir es
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