Wir sind alle Islaender
lichten Seiten des Lebens gesehen. Aber wenn ich der ernüchternden Realität in die Augen schaue, dann ist jetzt wahrscheinlich Schluss. Wir können machen, was wir wollen, wirklich bewegen können wir nichts. Die Politiker diskutieren, was mit dem Korn gemacht wird, wenn es fertig gemahlen ist, und dabei mahlt die Mühle gar nicht mehr. Die Regierenden scheinen das noch nicht mitbekommen zu haben.«
Am schlimmsten findet Jakob, dass ein ganzer Berufsstand in Island seinem Ende entgegengeht.
»Der Architektenverband hat schon Krisensitzungen abgehalten. Die einzige Möglichkeit, im Ausland Projekte an Land zu ziehen, besteht danach darin, dass sich alle selbständigen Architekten zusammentun. Einem Architekturbüro von zweihundert Leuten würde es vielleicht gelingen, im Ausland Fuß
zu fassen. Alle Mann in ein Rettungsboot sozusagen. Ich sage euch, wenn nichts geschieht, wird kein einziges Architekturbüro in Island diesen Sommer überleben. Wenn man früher einen Umsatz von hundert Millionen im Jahr gehabt hat, und der bleibt dann einfach aus, das ist, als ob ein Lastwagen mit Vollgas gegen eine Wand fährt.«
»Wir waren zum Beispiel am Bau des Sportpalastes Egilshöll im Norden von Reykjavík beteiligt. Das Projekt wurde gestoppt. Die schulden uns noch immer zwölf Millionen Kronen. Wir sollten auch eine neue Sporthalle für Fram (einen großen Sportverein in Reykjavík) errichten. Den Vertrag über sechzig Millionen hatte ich bereits vorliegen, seit November warte ich Woche für Woche auf die Unterschrift. Jetzt können sie es nicht mehr finanzieren. Auch die Stadt Reykjavík kann ihren Beitrag nicht mehr leisten. Dazu kommt, dass alle so paranoid geworden sind und eine Riesenangst haben, Entscheidungen zu treffen. Alle ziehen sich in ihr Schneckenhaus zurück, kein Mensch traut sich, Entschlüsse zu fassen. Selbst da, wo es noch Geld gibt, tut sich nichts, alles ist festgefroren, keiner will es anrühren, und währenddessen geht uns die Puste aus. In Hafnarfjordur sollte ein Pflegeheim für siebzig Menschen gebaut werden, ein Auftrag, der uns fast über ein ganzes Jahr geholfen hätte, aber beim Staat kann man sich nicht entscheiden, ob man sich, wie üblich, daran beteiligen will oder kann, und deswegen passiert auch da nichts.«
»Sicher hätten wir es überlebt, wenn der Umsatz um zwanzig bis dreißig Prozent geschrumpft wäre. Natürlich kommen jetzt die Geier und sagen, bei dir ist ja gerade nicht viel los, warum zeichnest du nicht für uns ein Haus, und wenn es uns gefällt, zahlen wir dir was dafür. Selbst im öffentlichen Sektor
denkt man so: Stell doch mal ein Team zusammen und mach Vorschläge, was mit all den leeren Häusern geschehen soll, aber bezahlen können wir dich erst mal nicht. Es gibt jede Menge Ideen, aber kein Geld. Wir sitzen hier schon fünf Monate und lassen uns was einfallen, aber so langsam geht uns die Kraft aus.«
»Ich weigere mich ja noch, etwas anderes zu machen. Aber wie lange ich das noch durchhalte, weiß ich nicht. Eines Tages geht man dann raus, schließt die Tür ab und macht doch was anderes. Ich finde schon was, was zu mir passt. Ich bin es ja gewohnt, große Aufgaben in Angriff zu nehmen. Ein Architekt ist jemand, der immer die Übersicht behalten muss, und das kann ja sehr nützlich sein. Sagen wir mal, ich würde in einer anderen Branche drei, vier, fünf Jahre Fuß fassen können. In der Zwischenzeit hat sich die Baubranche erholt, aber dann bin ich längst weg vom Fenster, meine Mitarbeiter sind werweiß-wo, die Computer und Programme veraltet. Das gilt für alle, das heißt, das isländische Architekturwesen müsste ganz von vorne anfangen. Das ist weder gesellschaftlich noch wirtschaftlich vernünftig.«
»Man will der Wirklichkeit eben nicht ins Auge schauen. Aber schon, dass ich mir jetzt alles von der Seele rede, ist ein guter Schritt. Den Selbständigen geht es ja noch schlechter als den Lohnempfängern. Am Ende kannst du kein Zeichenpapier mehr kaufen, und sie schalten dir den Strom ab, und dann ist automatisch Sense. Noch schieben die selbständigen Architekten das Ende vor sich her. Von dreihundert isländischen Architekten haben vielleicht noch hundert Arbeit. Die meisten davon werden bis zum Sommer Konkurs gehen, im Herbst gibt es auf Island kein Architekturwesen mehr. Aber
wir in der Baubranche sind ja nicht die Einzigen. Auch die Immobilienmakler sind am Ende, die Werbeagenturen, die Autoverkäufer. Die selbständigen Baufirmen verkaufen ihre
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