Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wir sind alle Islaender

Titel: Wir sind alle Islaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halldór Gudmundsson
Vom Netzwerk:
Maschinen, und damit drehen sie den eigenen Hahn zu. Es ist irgendwie unwirklich.«
    »Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn ich mich seit Anfang der Krise jeden Morgen vor eine Videokamera gesetzt und erzählt hätte, wie es mir ging. In den Nachrichten wurde ja täglich irgendein neuer Horrorbericht verlesen. Alles ist ein Riesenschock und trotzdem keine reelle Zerstörung. Kein Feuer, kein Erdbeben, keine Naturkatastrophe. Kein Mensch ist krank, alle sind arbeitsfähig, und trotzdem sind alle wie gelähmt. Es ist eine Befindlichkeitskrise. Es ist wie vorm Fernseher. Wenn du auf stumm schaltest, ist alles in Ordnung. Finanzkrise: sind doch alles nur Zahlen auf dem Papier, alles nur im Kopf. Das Problem ist bloß: sich tot stellen geht auf Dauer auch nicht, denn das Mühlrad steht wirklich still. Hätte ich mich nur fünf Minuten jeden Morgen vor die Kamera gesetzt, stellt euch vor, was das für ein toller Film geworden wäre.«

Warum sollen wir zusammenhalten?
    Maria Kristjansdottir, Kindergartenleiterin

    »Es geht mir ja nicht ums Reichwerden,
aber meine Schulden will ich immer bezahlen können.«

    Maria Kristjansdottir ist 54 Jahre alt, Leiterin eines Kindergartens und wohnt in Hafnarfjördur, einer kleinen Stadt in der Nähe von Reykjavík. Vielleicht hat sie sich Hafnarfjördur ausgesucht, weil hier noch etwas vom Milieu eines Fischerdorfes spürbar ist. Maria stammt von den Westfjorden; ihr Vater und ihr Großvater waren hart arbeitende Seeleute, und auf ihre Herkunft ist sie sehr stolz. Sie ist zum zweiten Mal verheiratet; sie und ihr Mann haben zusammen sechs Kinder und zwei Enkelkinder.
    »Ich arbeite in einem Kindergarten, schon seit dreißig Jahren, und das macht mir viel Spaß. Vielleicht bin ich ein bisschen Idealistin, denn ich interessiere mich sehr viel mehr für Kindererziehung und Pädagogik als für finanzielle Sachen, obwohl ich gerne gut leben will und auch möchte, dass ich immer meine Schulden bezahlen kann. Wahrscheinlich bin ich einfach ein typischer Isländer.«
    »Ich komme vom Land, und manchmal ist mir, als ob wir Isländer schon seit Jahren finanziell über den Tisch gezogen worden sind. Als ich noch in der Volksschule war, mussten wir immer samstags unser hart erworbenes Kleingeld mitbringen, um Sparmarken zu kaufen. Ich will ja nicht bitter klingen, aber ich finde doch, dass es absurd ist, wenn einem das Geld aus der Tasche gezogen wird, bevor man überhaupt ans Arbeiten denken kann. Als man uns im letzten Herbst so dramatisch ausgenommen hat, habe ich mich wieder an diese Sparmarken
erinnert. Man musste sie in ein Buch kleben, und wenn man eine ganze Seite voll hatte, bekam man vom Schulleiter einen Scheck über zehn Kronen. Was sollte ich als Kind mit so einem Scheck anfangen?«
    »Als Jugendliche habe ich sehr oft als Babysitterin gearbeitet. Jede einzelne Krone habe ich dann auf die Landsbanki gebracht und auf mein Sparkonto legen lassen. Wirklich jede Krone. Aber dann habe ich nicht aufgepasst, als man plötzlich zwei Nullen von der Krone strich (eine Währungsreform, die 1981 vorgenommen wurde), habe nicht rechtzeitig gewechselt, und seitdem sind meine Ersparnisse auf diesem Konto nichts mehr wert.«
    »Oder nimm meinen Großvater, einen Gewerkschafter in Hnifsdalur an den Westfjorden. Er war gar nicht arm, 1880 geboren, hatte er es 1960 zu Elektrizität und Wassertoilette im Haus gebracht. Wie so viele folgte er der Aufforderung, die isländische Reederei Eimskip nach ihrer Gründung 1914 zu unterstützen, kaufte also für eine ansehnliche Summe Aktien, die ich dann geerbt habe, und was sind die jetzt wert? Genau eine Krone! Das konnte ich gerade meiner Steuererklärung entnehmen. Es geht mir ja nicht ums Reichwerden, aber meine Schulden will ich immer bezahlen können. Seit dem Kollaps der Banken ist mir das unmöglich. Zum ersten Mal in meinem Leben.«
    Wir bitten Maria, uns zu erzählen, wie es dazu kam.
    »Vor zehn Jahren habe ich mich nach fast fünfundzwanzig Jahren Ehe scheiden lassen. Was mir danach blieb, ermöglichte es mir, eine Wohnung von sage und schreibe siebenundfünfzig Quadratmetern zu kaufen. Da wohnte ich dann zuerst mit meinen Töchtern. Als ich meinen neuen Mann kennen lernte, besaß auch er eine kleine Wohnung, und wenn wir den Wert
der beiden zusammenrechneten und die Schulden abzogen, betrug unser Nettobesitz ungefähr zehn Millionen Kronen. 2007 beschlossen wir dann, uns den Traum von einem kleinen Haus in Hafnarfjördur zu erfüllen. Wir

Weitere Kostenlose Bücher