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Wir sind alle Islaender

Titel: Wir sind alle Islaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halldór Gudmundsson
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hieß es seitens der Verwaltung, das könne man sich nicht leisten. Dabei ist es ja eine ausgesprochen wohlhabende Stadt, die gut in anderen Bereichen Einsparungen vornehmen könnte. Ich habe dem Bürgermeister gesagt, er könnte doch durchaus die Gemeindesteuer erhöhen (die Stadt liegt unter dem erlaubten Maximum), als gerade auf diesem Gebiet zu kürzen.«
    Da Rakel aber aus besagten Gründen an ihre Wohnung gebunden ist, kann sie auch die Gemeinde nicht verlassen. Sie sitzt fest. Hat das zu einer Radikalisierung ihrer Ansichten geführt?
    »Ich bin nicht der Typ, der auf die Straße geht und demonstriert. Aber ich habe einen ganzen Haufen Briefe an Politiker und andere Verantwortliche geschrieben. Man diskutierte dauernd
nur die Probleme derjenigen, die ein Darlehen in ausländischer Währung hatten. Eigentlich sprach man nur über sie. Und vergaß dabei, dass es auch bei denen, die isländische Kredite zu bedienen hatten, zu Problemen kam, dass deren Schulden ebenfalls in die Höhe schnellten, dass auch sie in große Schwierigkeiten kamen. Ich habe unter anderem an Ingibjörg Solrun Gisladottir und Johanna Sigurdardottir geschrieben. Lange habe ich nichts gehört, bis ich schließlich dann doch unverbindliche Antworten bekam. Das ist eher meine Art. Ich schreibe lieber Briefe, als auf Demonstrationen zu gehen. Ich bin dann auch in die Sozialdemokratische Partei eingetreten. Mein ganzes Leben war ich immer konservativ eingestellt, aber die Zeiten haben sich geändert. Ich wurde also Mitglied und bin zu Parteisitzungen gegangen und habe mich auch in Komitees engagiert, in denen es um den Bereich Schule und Bildung ging. Das ist wichtig für meine Kinder, und ich will nicht, dass man diesen Bereich vernachlässigt wie in meiner Gemeinde, wo sie bei den Schulen kürzen. Zum Beispiel gibt es jetzt keine stellvertretenden Lehrer mehr; wenn der Lehrer krank ist, werden die Kinder einfach nach Hause geschickt. Warum sparen sie nicht lieber an den Kulturhäusern?«
    »Mein politisches Engagement ist ganz und gar eine Reaktion auf die Zustände. Jemand muss Stellung beziehen. Ich wurde zur meiner Situation schon im Morgunbladid interviewt und bekam sehr verschiedene Reaktionen darauf. Einige sagten: ›Dir geht es im Grunde genommen doch gut.‹ Als ob man nur über die allerschlimmsten Fälle berichten dürfte. Natürlich sind die furchtbar. Aber den meisten in meiner Situation verbietet ja der Stolz, über ihre Situation zu reden. Man will nicht zugeben, dass man in der Klemme steckt. Die Leute tun so, als
hätten sie noch immer den gleichen Lebensstandard, ›bei mir ist alles bestens‹, keiner darf wissen, wie es wirklich ist. Aber nach dem Zeitungsinterview kamen auch viele und raunten mir zu: ›Bei mir sieht es genauso aus.‹ Laut traute sich das allerdings keiner zu sagen, alle sprachen nur hinter vorgehaltener Hand, egal ob es Arbeitskollegen waren oder Leute, die ich gar nicht kannte.«
    »Mein politischer Sinneswandel hängt mit der Familie zusammen. Früher war ich sogar Mitglied der Unabhängigkeitspartei, aber dann hatte ich die Nase voll. Selbstverständlich will ich gerne reich werden, aber ich will auch, dass Familien den sozialen Service bekommen, den sie brauchen. Momentan kann ich nicht viel anderes tun als abwarten. Ich schmiede einfach meine Pläne: Wenn das passiert, werde ich so reagieren, und so weiter. Es gibt ja jetzt Gesetzesvorschläge zur Situation von Familien (betreffend Maßnahmen zur Reduzierung der Schuldenlast), und ich will erst mal sehen, was das Parlament in dieser Richtung verabschiedet. Mit denen von der Bank will ich auch noch mal sprechen. Aber wenn es so übel kommt, dass ich meinen Job verliere, dann sind mir die Schulden scheißegal. Dann höre ich sofort auf zu zahlen und ziehe ins Ausland, entweder um dort meinen Beruf auszuüben oder um eine Ausbildung zu machen. Wäre ja nicht die erste.«
    »Nur, wenn wir ins Ausland ziehen, müssen wir uns genau überlegen, wohin, meine Freundin und ich. Als lesbisches Paar sind wir nicht überall so gern gesehen wie hier.«

Am Fenster des Premierministers
    Hallgrímur Helgason, Autor

    »Mit den Mächtigen soll
man nie Mitleid haben.«

    Hallgrímur Helgason, 50, ist einer der bekanntesten isländischen Schriftsteller und gleichzeitig ein anerkannter Bildender Künstler. Auf Deutsch sind von ihm drei große Romane erschienen: 101 Reykjavík , die Laxness-Satire Vom zweifelhaften Vergnügen, tot zu sein und zuletzt der groteske

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