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Wir sind alle Islaender

Titel: Wir sind alle Islaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halldór Gudmundsson
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Regierungswechsel zuwege gebracht und sich danach aus der Politik zurückgezogen, das muss man ihr lassen.«
    Hatte die Krise Auswirkungen auf sein Privatleben?
    »Ich hatte ja das ›Glück‹, dass meine Frau und ich am 16. Januar, dem Tag, als ich aus Afrika zurückkehrte, beschlossen, uns zu trennen! Wir waren drei Wochen voneinander getrennt gewesen und wussten danach, jetzt ist Schluss. Schon möglich, dass unsere Trennung etwas mit den herrschenden Zuständen zu tun hatte, vielleicht wurde sie dadurch beschleunigt. Meine Frau ist mir in die Welt der Politik entschwunden. Das ist eine harte Welt. Nicht vielen Ehepaaren gelingt es, zwei Karrieren zu verbinden. Wenn ich zum Beispiel den ganzen Tag in meinem Atelier verbracht hatte beim Schreiben und Malen, mutterseelenallein, hatte sie währenddessen auf diversen Sitzungen vielleicht dreihundert Menschen getroffen.
Wenn wir beide dann nach Hause kamen, hatten wir sehr unterschiedliche Bedürfnisse. Sie wollte ihre Ruhe haben, ich wollte so viel Trubel wie möglich um mich haben. Dazu kam noch der Altersunterschied von siebzehn Jahren, die sie jünger ist.«
    »Wir beschlossen uns also zu trennen, und vier Tage später fing die Kochtopfrevolution an, und ich war heilfroh darüber. An Arbeit war in meinem Zustand sowieso nicht zu denken, und dann ist es ja herrlich, eine ganze Woche auf alles Mögliche klopfen zu können, um Krach zu machen, und es wimmelte ja auch nur so von schönen Mädchen auf den Demonstrationen. Es war so eine Art vorrevolutionäre Situation, Lagerfeuer loderten, und die Menschen tanzten auf der Straße und sangen und schrien sich heiser. Vielleicht war der Höhepunkt erreicht, als wir vor dem Parlament standen, und jemand rief, das Parlament sei menschenleer, und wir liefen dann alle zum Sitz des Premierministers. Dort angekommen, sahen wir Geir im Auto sitzen, neben seinem Chauffeur, und es war weder Polizei da noch Leibwächter. Ich habe mich gebückt und mit flacher Hand ans Fenster geschlagen; ich dachte, ich lächele, wahrscheinlich habe ich grimmig ausgesehen. Sekunden später kam ein wütender Leibwächter und hat alle weggescheucht. Das Auto stand sicher zwei Minuten eingekeilt in der Menschenmenge und wurde auch mit Eiern beworfen; es war eine Art von Befriedigung für die Demonstranten. Kein Mensch wollte dem Premierminister etwas antun, aber er sollte die Wut zu spüren bekommen. Im Grunde waren die Demonstranten nie richtig in die Nähe der Macht gekommen, es stand ja immer nur die Polizei vor dem Parlamentsgebäude. Die man ansonsten nur bewundern kann, denn
sie hat immer Ruhe bewahrt. Zu verdanken war das wohl vor allem ihrem zurückhaltenden Polizeichef, Stefan Eiriksson. Ein sehr guter Mann, den ich auf Hrisey kennen gelernt habe, wo wir beide Sommerhäuser haben. Hut ab vor der Polizei.«
    Hallgrímurs Klopfen am Auto des Premierministers schaffte es sofort in die Schlagzeilen der isländischen Internetmedien. Hat er seinen Auftritt bereut?
    »Eigentlich sofort danach. Ich hatte Angst, das Fernsehen hätte das Ganze mitbekommen. Ein Fotograf hat es dann doch geknipst, und natürlich fand ich das Foto nicht schön, denn ich hatte ja die Kontrolle verloren. Aber alles in allem geht es in Ordnung, denn das Geschehnis war symptomatisch für einen Zustand, der sich vier Monate lang zugespitzt hatte.«
    »Ich kannte Geir ja persönlich, er hatte zum Beispiel Vom zweifelhaften Vergnügen, tot zu sein gelesen, und er schien mir immer eher ein gutmütiger Mensch zu sein. Aber dort war er in seiner Funktion als Premierminister, das war nichts Persönliches, und mit den Mächtigen sollte man nie Mitleid haben. Ich kann den Premierminister nicht bemitleiden, weil sein Auto mit Eiern beworfen wird oder jemand gegen die Fensterscheibe klopft. Ich selber wurde komischerweise ein bisschen wie Böddi, die Hauptperson meines Romans Rokland . Auch er will ja am Schluss mit dem Premierminister abrechnen. Ich sah sogar ein bisschen aus wie er, im Mantel und mit Stiefeln, und so kam ich am Abend in eine Fernsehsendung, ohne Make-up, so wie er auch im Buch, und das war schon ein bisschen erschreckend.«
    »Bei mir persönlich brach dann alles zusammen. Erst die Trennung von meiner Frau, und dann gab mein Auto auf, und schließlich empörte man sich im Internet darüber, dass ich ein
Staatsstipendium bekommen hatte. Zwei Tage später hielt ich meine eigene Privatdemonstration vor dem Haus der Unabhängigkeitspartei ab, als dort die Parteiführung

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