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Wir sind alle Islaender

Titel: Wir sind alle Islaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halldór Gudmundsson
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tagte. Am Anfang stand ich ganz alleine, am Ende waren wir um die zwanzig Leute. Es war eigentlich ganz lustig, weil wir so nahe dran waren, ich klopfte ihnen fast ins Gesicht, um ihren Rücktritt zu verlangen, und sie haben mir dann auch geantwortet. Bjorn Bjarnason (Justizminister) sagte zum Beispiel, geh doch einfach nach Hause, um zu schreiben. Aber dann kam jemand ins Freie und meinte zu mir, Geir Haarde habe gerade erklärt, er würde demnächst zurücktreten, denn man habe bei ihm Krebs festgestellt, und daraufhin hörten wir sofort auf mit dem Ganzen. Ich glaube, alle Beteiligten haben von diesen Demonstrationen gelernt, sowohl die Protestler wie auch die Polizei.«
    »Als die Regierung dann zurücktrat, haben wir das als einen Riesensieg empfunden und auf Austurvöllur getanzt. Die Meldung kam erst am Samstag und erwies sich schnell als Falschmeldung, und als sie dann tags darauf bestätigt wurde, hatten wir schon gefeiert. Die Proteste hatten keine Anführer und verliefen vollkommen spontan. Das ging über SMS und Facebook und so weiter.«
    »Aber vielleicht sind wir, die protestiert haben, nicht unbedingt die Richtigen, um ein neues Island aufzubauen. Es waren zum Beispiel viele Künstler dabei, die gut kritisieren können, möglicherweise aber keine wirklich konstruktiven Vorschläge haben. Es hat mich überrascht, wie gut das Gefühl war, die Regierung endlich loszusein. Ich war überglücklich, als Johanna Sigurdardottir Premierministerin wurde. Und auch die Links-Grünen sind durch die Regierungsbeteiligung um viele Jahre gereift. Jahrelang war ich unter den Autoren ziemlich alleine
mit meinem Engagement, aber nach dem Kollaps meldeten sich immer mehr zu Wort, und das fand ich schön.«
    »Keine Ahnung, was die Zukunft bringt, aber ich bin froh, dass wir gelandet sind, dass wir wieder festen Boden unter den Füßen haben. Jetzt ist Schluss mit all diesem Quatsch, jetzt wollen alle wieder Leberkäse und Lammfleisch und Wollstrümpfe und gute Bücher lesen, die alten isländischen Werte eben. Ich hoffe nur, dass die neue Situation keine Dämonen wie Nationalismus und das Verlangen nach starken Führern mit sich bringt.«

Tränengas und Steinwürfe
    Marino Emilsson, Polizist

    »Am Ende kam ich sehr glimpflich
mit einer Gehirnerschütterung davon.«

    Marino Emilsson ist ein groß gewachsener junger Mann, der ruhig und überlegt von seiner Arbeit erzählt. Nach einer Ausbildung als Mechaniker hat er schließlich 2006 noch die Polizeifachschule absolviert und ist momentan als Streifenpolizist eingesetzt.
    »Wir betreiben keine Nachforschungen wie die Kriminalpolizei, sondern gehen auf Streife, sammeln Informationen vor Ort und mischen uns nur in Dinge ein, die wir unmittelbar regeln können.«
    Wie die meisten Polizisten wurde auch Marino bei den Demonstrationen der letzten Monate eingesetzt. Bei solchen Einsätzen tragen sie Helme und Schilde, eine für isländische Verhältnisse sehr ungewöhnliche Ausrüstung.
    »Ja, wir haben in letzter Zeit öfter so auftreten müssen, und ein paar Mal haben wir auch Pfefferspray anwenden müssen, aber glücklicherweise nicht sehr oft.«
    In einem Land mit so wenigen Einwohnern wie Island klingt es vielleicht etwas ironisch, wenn die Polizei darauf trainiert wird, wie man Menschenmassen kontrolliert.
    »Ja, wir haben das in der Fachhochschule gelernt. Es gibt auch eine besondere Einsatztruppe, die für solche Situationen vorbereitet ist. Dabei geht es vor allem darum, immer genau den Befehlen eines Vorgesetzten zu folgen. Wenn man alleine oder zu zweit auf den Straßen patrouilliert, ist man natürlich eher sein eigener Herr.«

    Marino ist sich bewusst, dass das, was er sagt, immer als Meinung der Behörde als Ganzes verstanden werden kann, und entsprechend vorsichtig äußert er sich auch. Hat dieses Training, von dem er spricht, nicht etwas ausgesprochen Militärisches, etwas, womit die Isländer ja bekanntlich wenig Erfahrung haben?
    »Das stimmt schon. Es hat etwas sehr Unnatürliches, so mit Helm, Knüppel und Schild ausgerüstet vor gewöhnlichen Menschen stehen zu müssen. Bisher hatten wir es bei solchen Einsätzen meistens mit Leuten zu tun, denen es sehr schlecht geht, mit Junkies oder psychisch Gestörten. Das sind dann Menschen, die manchmal voller Wut und mit Keulen oder Messern oder sogar Schusswaffen auf uns losgehen. Aber normalerweise ist es halt nur ein Einzelner, und es ist unsere Entscheidung, zu welchen Mitteln wir greifen. Aber nun stehst du

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