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Wir sind bedient

Titel: Wir sind bedient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alena Schroeder
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auch an dem Druck, der in dieser Branche herrscht. Man weiß: Die will nur ihre Adresse ändern, der verkaufe ich sicher nicht noch nebenher einen Handyvertrag, also sehe ich zu, dass ich die möglichst schnell wieder loswerde. Sonst muss ich mir wieder vom Chef anhören, warum ich diese Woche schon wieder vier Verkäufe zu wenig abgeschlossen habe.
    Die meisten Callcenter sind chronisch unterbesetzt. Da haben die Anrufer schon schlechte Laune, sobald man sie in der Leitung hat, weil sie vorher ewig in der Warteschleife hingen.
    Es weiß ja auch kaum einer, wie es in so einem Callcenter zugeht, die Leute denken, da sitzen vier faule Weiber beim Kaffee, und erst nach zehn Minuten bequemt sich mal eine ans Telefon. Bei der Auskunft haben auch häufig Leute angerufen und sich gemeldet mit: »Ich bin’s noch mal!« Die wenigsten haben eine Vorstellung, was für eine riesige Maschinerie dieses Anrufmanagement ist.
    Es herrscht die totale Überwachung, zumindest in vielen Callcentern. Wie erfolgreich man ist im Verkauf, wie viele Calls man schafft, wie man die Gespräche führt - alles wird überwacht. Es gibt sogar Testanrufer, die richtig aggressiv werden, um zu überprüfen, wie hoch die Stressresistenz eines Mitarbeiters ist. Wenn du hundert Prozent Leistung gebracht hast, dann wollen sie hundertzwanzig Prozent. Du bist nie gut genug, es wird nie gelobt.
    Es gibt Betriebe, da muss man sogar unbezahlt zur Toilette gehen. Wer von seinem Platz aufsteht, muss sich aus dem System ausloggen und bekommt eben für diese Zeit auch kein Geld. Andere hocken zu zehnt auf zehn Quadratmetern, arbeiten an Bildschirmen, die diesen Namen nicht verdienen, und bekommen fünf Euro die Stunde. Gerade im Osten, in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit, wird den Leuten ganz klar gesagt: »Wenn du deine Leistung nicht bringst, aufmuckst oder dich gar im Betriebsrat
engagierst, dann wirst du eben durch den nächsten Arbeitslosen ersetzt.«
    Ganz so schlimm ist es bei uns nicht, mein Callcenter ist sicherlich eines der besseren der Branche. Das liegt aber auch daran, dass wir noch alte Telekomtarifverträge haben. Früher haben wir noch richtig zur Telekom gehört, dann sind wir an eine andere Firma verkauft worden, an Arvato. Was heißt verkauft - verschenkt! Die Telekom hat sogar noch ein paar Tausend Euro pro Mitarbeiter draufgelegt, weil das den Konzern immer noch billiger kam, als uns einfach rauszuschmeißen. Viele unserer Mitarbeiter sind über fünfzig, die hätte man gar nicht einfach rausschmeißen können. Die waren schon vorher hin und her geschoben worden, weil sie an ihrem ursprünglichen Platz nicht mehr gebraucht wurden. »Clearing« nennt man das. Wir haben technische Zeichner und Buchhalter, die vor zig Jahren mal bei der Bundespost angefangen haben und jetzt eben im Callcenter gelandet sind. Und für die ist das besonders bitter, von ihrem ehemaligen Arbeitgeber einfach so verscherbelt worden zu sein.
    Früher habe ich die Telekom verteidigt wie eine Löwin ihr Junges, egal ob wir teurer und langsamer waren, ich hatte immer ein Argument, warum Telekom doch die bessere Wahl ist. Ich habe mich stark mit dem Unternehmen identifiziert, heute kann ich das wirklich nicht mehr behaupten.
    Ich selbst habe vor fünfundzwanzig Jahren mal bei der Bundespost angefangen, damals in der Auskunft. Heute
bin ich Teamleiterin, das heißt, ich coache die Mitarbeiter bei der Gesprächsführung und zeige ihnen, wie man einen aufgebrachten Kunden beruhigt und ein Gespräch zielgerichtet führt. Viele drehen zu viele Schleifen und kommen nicht zum Punkt. Oder sie lassen sich von den Kunden zu lange was erzählen. Das sind ja kostenfreie Rufnummern, da rufen viele auch einfach nur zum Quatschen an, und da muss man den Punkt finden, höflich, aber bestimmt das Gespräch zu beenden.
    Wir sind auch angehalten, bei jedem Kunden nach Möglichkeit den Tarif zu »optimieren«, sprich: Ihm was zu verkaufen. Einen neuen Handyvertrag oder ein DSL-Paket. Je länger die Callcenteragenten schon für die Telekom arbeiten, desto eher haben sie Hemmungen, einer fünfundsiebzigjährigen Oma ohne Computer DSL anzudrehen. Aber die Jungen, die von der Straße rekrutiert wurden, denen wird von den Vorgesetzten ganz klar gesagt: »Wenn Oma Ja gesagt hat, dann hat sie Ja gesagt. Profit ist das Einzige, was zählt.« Und die haben dann auch weniger Hemmungen

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