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Wir sind bedient

Titel: Wir sind bedient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alena Schroeder
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sie niemanden mehr haben oder dass ihr Sohn sie seit Jahren nicht mehr besucht. Das geht einem schon nah, und solche Leute kann man auch nicht sofort eiskalt aus der Leitung schmeißen, auch wenn die Chefs das von einem erwarten.
    Früher bei der Auskunft habe ich sogar mal die Polizei zu einem Anrufer nach Hause geschickt, weil ich Angst hatte, der tut sich was an. Der war so verzweifelt am Telefon, den konnte ich nicht einfach mit einem »Tut mir leid, da kann ich auch nichts tun!« aus der Leitung werfen.
    Es gibt auch Anrufer, die ein bisschen mit einem flirten, so was rettet jeder Callcenteragentin den Tag. Und man macht sich natürlich aufgrund der Stimme ein Bild vom Anrufer, auch wenn die Wirklichkeit selten was damit zu tun hat. Ich hatte mal einen Zahnarzt in der Leitung, der war wahnsinnig nett. Und weil ich so Angst vorm Zahnarzt
habe, dachte ich, den probiere ich mal aus. Ich hatte mir einen großen, dunkelhaarigen Mann vorgestellt. Tatsächlich war er klein und ganz blond und passte überhaupt nicht zu seiner Stimme. Nett war er trotzdem, und vor allem ein super Zahnarzt.
    Natürlich ist der Job auch körperlich anstrengend. Dieses akzentuierte, klare Sprechen den ganzen Tag über. Auch dass man immer hoch konzentriert sein muss, nie mal einfach fünf Minuten aus dem Fenster gucken und mit den Gedanken abschweifen kann. Und das viele Sitzen und Starren auf den Bildschirm.
    Wenn ich abends nach Hause komme, habe ich keine Lust mehr zu telefonieren. Mal eine halbe Stunde mit einer Freundin am Telefon quatschen, das mache ich so gut wie nie. Und mein Handy habe ich nur für Notfälle in der Tasche. Köche, die den ganzen Tag in der Küche stehen, zaubern ihren Familien daheim ja auch nicht jeden Abend ein Drei-Gänge-Menü.
    Natürlich bin ich auch privat sensibler, was die Callcenteragenten betrifft, bei denen ich anrufe. Für mich ist es nicht selbstverständlich, dass da auch um 20.30 Uhr noch jemand sitzt, der meinen Anruf entgegennimmt. Und ich bin auch verständnisvoller denen gegenüber, die bei mir anrufen. Ich kaufe immer noch nichts am Telefon, aber ich knall auch nicht einfach den Hörer auf. Ich hab auch schon mal zu einem Anrufer gesagt: »So verkaufen Sie nie im Leben was, wenn Sie das hauptberuflich machen, lassen Sie sich eine Kommunikationsschulung geben.«
    Klar, bei so aggressiven Verkäufern mit besonders platten
Sprüchen werde ich auch sauer: »Wollen Sie jeden Monat soundso viel sparen?« - »Nein, will ich nicht!« - »Ach, Sie haben also Geld zu verschenken?« Klar, ich weiß, das wird denen so vorgegeben, aber da fällt es mir schwerer, nett und ruhig zu bleiben.
    Gut möglich, dass ich bald etwas ganz anderes mache. Arvato hat nämlich beschlossen, unseren Standort nächstes Jahr dichtzumachen. Wir sind denen zu teuer, und der Betriebsrat ist zu aufmüpfig. Arvato geht von einem Jahresbruttogehalt von fünfzehntausend Euro für einen Callcenteragenten in Vollzeit aus. Durch unsere alten Telekomtarifverträge verdienen wir aber noch deutlich mehr. Und auf Lohnkürzungen wollten wir uns alle nicht einlassen, in meinem Fall hätte das inklusive weniger Urlaub und längerer Arbeitszeiten ein Minus von achtundvierzig Prozent bedeutet. Da hat kaum einer mitgemacht. Also machen sie den Standort einfach dicht und behalten nur noch die weiter im Osten, wo sie die Leute noch billiger bekommen.
    Manchmal frage ich mich, wie Callcenteragenten mit diesen Gehältern Familien ernähren sollen. Das ist doch das Letzte, dass viele Firmen einfach davon ausgehen, dass der Staat das ausgleicht und die Gehälter aufstockt, damit die Leute überhaupt überleben. Und da sind doch auch die Auftraggeber gefragt: Die Telekom gehört ja immer noch zu einem großen Teil dem Staat, die müssten doch ein bisschen darauf achten, an wen sie Aufträge verteilen und ob die Leute da ordentlich behandelt und bezahlt werden. Aber es geht nur noch um Profit.

    Um meine Zukunft mache ich mir keine Sorgen, ich bin gut ausgebildet, ich bin sehr kommunikativ und kann mich gut verkaufen, ich finde schon wieder irgendwo einen neuen Job. Aber bei uns sind viele, die sich in ihrem ganzen Arbeitsleben noch nirgends bewerben mussten, die stehen jetzt mit Mitte fünfzig zum ersten Mal vor dieser Situation. Und vom Arbeitsamt werden die natürlich auch als Erstes wieder ins Callcenter vermittelt, obwohl sie mal was

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