Wir sind bedient
Mann ist, der Pflege braucht, muss man die Frau stark mit einbeziehen. Wenn man da als junges Ding zu sehr vor dem Alten rumwackelt, dann gibt es nur böses Blut. Deshalb ist es wichtig, die Frauen immer viel zu loben, die leisten ja auch tatsächlich viel. Die kümmern sich ja die anderen dreiundzwanzigeinhalb Stunden um ihre Männer, wenn ich nicht da bin. Und das sollte man anerkennen. Die sind so dankbar, wenn sie mal das Gefühl vermittelt bekommen: Hier sieht jemand, was ich den ganzen Tag leiste.
Natürlich mache ich mir Gedanken darüber, was passiert, wenn ich selber alt werde. Ich möchte ungern von jemandem abhängig sein und mich auch nicht ewig quälen müssen. Zum Beispiel würde ich nie eine Chemotherapie machen, dazu habe ich zu viele Menschen an Krebs sterben sehen, die sich vorher noch ewig durch eine Chemo gequält haben. Denen immer noch Hoffnungen gemacht wurden, obwohl klar war, sie sind nicht mehr zu retten! Und die dann so elendig verrecken, weil sich niemand richtig um sie kümmert. Wenn dann so junge Ãrzte, die frisch von der Uni kommen, verfügen: »Der kriegt kein Morphium mehr, der könnte ja abhängig werden«, dann bekomme ich eine solche Wut, dass man so viel unternimmt, die Leute künstlich am Leben zu erhalten,
aber kaum etwas, um ihnen das Sterben zu erleichtern und ihnen wenigstens die Schmerzen zu nehmen.
Neulich hat mir eine alte Dame erzählt, dass sie demnächst in die Schweiz fährt, Urlaub machen. Ich habe mir schon gedacht, dass sie nicht wiederkommt. Und so war es auch, die hat sich in der Schweiz beim Suizid helfen lassen. Ich bin wirklich nicht für aktive Sterbehilfe. Aber solange man den alten Menschen das Sterben so schwer macht wie bei uns, habe ich groÃen Respekt vor so einer Entscheidung.
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Zwei Drittel der 2,2 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland werden zu Hause versorgt. +++ Immer weniger junge Menschen wollen in der Pflege arbeiten: Zwischen 1998 und 2006 sank die Zahl der Auszubildenden in der Krankenpflege von 85 000 auf knapp 72 000. Auch in der Altenpflege sind die Schülerzahlen rückläufig. +++ Ein Grund dafür ist die schlechte Bezahlung der 565 000 Beschäftigten der Pflegebranche. Nach Gewerkschaftsangaben verdient eine Pflegehilfskraft in Deutschland mindestens 9,68 Euro die Stunde, wenn sie tarifgerecht bezahlt wird. Jenseits tarifvertraglicher oder kirchenrechtlicher Vereinbarungen verdienen Pflegekräfte in Deutschland zum Teil unter fünf Euro die Stunde. +++ Für das Jahr 2050 rechnen Experten mit 4,35 Millionen Pflegebedürftigen. Schon heute sind 82 % aller Pflegebedürftigen in Deutschland 65 Jahre alt oder älter, jeder dritte bereits über 85.
»In dieser Welt zählt jedes Gramm.«
Oksana, 25 Jahre, Ballerina, lebt für die Bühne, auch wenn es da manchmal zugeht wie auf einem Fleischmarkt.
A ls ich meiner Mutter gesagt habe, dass ich Balletttänzerin werden möchte, hat sie nur gelacht. Ich war schon fast vierzehn, das ist wirklich spät. Und in Russland macht man so etwas entweder ganz oder gar nicht. Man wird nicht mal eben so zum Spaà Tänzerin. Heute kann ich verstehen, dass sie mich nicht ernst genommen hat. Ich habe ihr gesagt: »Ich will lieber Ballett machen, als Querflöte spielen, weil man mit der Querflöte so viel üben muss!« Ich hatte wirklich keine Ahnung, worauf ich mich einlasse, ich glaube, ich war damals ganz schön altklug.
Als Kind konnte ich mit diesem ganzen kitschigen rosa Mädchenkram nichts anfangen, ich habe immer lieber mit den Jungs gespielt. Als ich neun Jahre alt war, sind wir von Russland nach Deutschland gezogen. Meine Eltern sind beide Musiker und haben immer sehr viel Wert darauf gelegt, dass ich mit Musik und Kultur in Berührung komme. Wir waren immer viel im Theater, ich habe
Querflöte und Klavier gespielt, habe im Chor gesungen und ein bisschen Jazztanz gemacht.
Meine Tanzlehrerin muss irgendetwas in mir gesehen haben, sie hat zu mir gesagt: »Du bist gut, aber dir fehlt etwas. Du musst mehr Haltung bekommen, mehr Basis. Mach doch mal ein bisschen Ballett.« Zu der Zeit habe ich hier im Opernkinderchor gesungen, und hinter der Bühne habe ich dort immer die Tänzerinnen gesehen. Und ich fand das toll, wie sie sich bewegen, diesen eleganten Gang, und dass sie so viele unterschiedliche Sprachen sprechen. Das hat mich fasziniert, und dann wollte ich es wissen
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