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Wir sind bedient

Titel: Wir sind bedient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alena Schroeder
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mich so entschieden zu haben. Viele meiner Kolleginnen sind in Russland aufgewachsen, die hatten diese Wahl oft nicht. Die haben in ihrem Leben wirklich von klein auf nichts anderes gemacht als Ballett. Und sie kommen in den Westen, weil man hier mehr verdienen kann, sie haben oft nur diese eine Chance. Ich bin froh, dass ich tanze, weil ich Spaß am Tanzen habe, und nicht, weil es die einzige Sache ist, die ich kann.
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    Jährlich besuchen allein 1,4 Millionen Besucher Ballettaufführungen. +++ Dennoch haben Städte wie Lübeck, Aachen und Cottbus ihre Ballettensembles abgeschafft, Saarbrücken, Leipzig sowie Stuttgart haben kräftig gekürzt. +++ Gut 400 Tänzer sind bei der Zentralstelle für Bühnenvermittlung arbeitslos gemeldet. Für Berufsanfänger und über 30-Jährige sind die Chancen, ein festes Engagement zu finden, denkbar schlecht. +++ Mit durchschnittlich 35 Jahren kann der Körper gerade im klassischen Ballett die geforderten Hochleistungen nicht mehr bringen. +++ Besonders schwierig ist es für Frauen, ein Engagement zu ergattern. Während die Ensembles je zur Hälfte mit Männern und Frauen besetzt sind, treffen beim Vortanzen 200 Frauen auf etwa 20 Männer. +++ Tarifvertragliche Rechte und Ansprüche haben die wenigsten Tänzer. Erst nach 15-jähriger Tätigkeit bei einem Haus hat der Arbeitgeber die Pflicht, die Tänzer weiter zu beschäftigen.

»Wir Verkäuferinnen werden ständig kontrolliert.«
    Marina, 44 Jahre, Drogeriefachverkäuferin, weiß, dass für ihre Chefs nur das Geld zählt - auch, wenn sie dabei draufgeht.
    S tatistisch gesehen wird jeden Tag in Deutschland eine Schlecker-Filiale überfallen. Wir sind ein gefundenes Fressen für Kleinkriminelle: Bei Schlecker sind wir Verkäuferinnen fast immer allein im Laden und sitzen auch noch mit dem Rücken zur Tür. Ein paar Kolleginnen von mir haben in ihren Filialen mal versucht, die Kassen umzudrehen, damit sie wenigstens die Tür im Auge haben. Das gab richtig Ärger mit dem Bezirksleiter.
    Sicherheit zählt bei Schlecker nicht viel, und das spricht sich unter Kriminellen natürlich rum. Wir haben auch keine Notknöpfe an der Kasse, mit denen wir schnell die Polizei rufen könnten. Zwar sind immer nur dreihundert bis vierhundert Euro in der Kasse, aber für manche lohnt sich so ein Überfall auch bei kleinen Beträgen. Das sind dann richtige Banden, die ziehen in einem Stadtteil von Filiale zu Filiale und gehen zum Teil ziemlich brutal vor. Die schubsen dich in die Regale, drohen mit Messern und Pistolen. Eine Kollegin ist mal richtig übel zusammengeschlagen
worden, und vor ein paar Jahren ist auch mal eine Schlecker-Verkäuferin bei einem Überfall ums Leben gekommen. Eigentlich ein Wunder, dass es mich noch nicht erwischt hat. Aber die Angst, dass jederzeit einer reinkommen und mir ein Messer an den Hals halten kann, die ist immer da.
    Ich habe Kolleginnen, die sind nach so einem Überfall gleich am nächsten Tag wieder zur Arbeit gekommen, weil sie Angst hatten, sonst ihren Job zu verlieren. Die Bezirksleiter halten uns auch dazu an, mit so Sprüchen wie: »Wenn einer vom Pferd fällt, muss er auch gleich wieder aufsteigen!« Die wollen nicht, dass wir uns krankschreiben lassen, weil der Überfall dann auch in der Statistik auftaucht.
    Nach einem Überfall kommen die Chefs in den Laden und fragen als Erstes: »Wie viel Geld ist noch da?« Nicht etwa: »Wie geht es Ihnen?« Es gibt auch keinen Blumenstrauß oder so. Wenn man Glück hat, gibt es einen Einkaufsgutschein für den Schlecker-Online-Shop.
    Krank werden wird bei Schlecker auch nicht gern gesehen. Da ruft schon mal der Bezirksleiter an und fragt nach, wie man es wagen konnte, krank zu werden. Es gibt auch sogenannte »Krankenanschreiben«, mit denen Schlecker die Mitarbeiterinnen auffordert, ihre Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Die interessiert wirklich nur, dass der Rubel rollt und der Verkauf reibungslos weitergeht.
    Einmal hat die Tochter einer Kollegin beim Bezirksleiter angerufen und gesagt, dass ihre Mutter leider verstorben
sei. Da hat er sie angeherrscht, dann müsse sie eben heute die Verkaufsstelle aufschließen, wenn ihre Mutter das nun nicht mehr könne. Das ist doch menschenverachtend!
    Ich arbeite in Teilzeit, wie die meisten hier bei Schlecker. Das kommt die Firma billiger, weil sie dann keine Pausen

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