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Wir sind bedient

Titel: Wir sind bedient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alena Schroeder
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im Sterben, und Sie haben nicht mehr viel Zeit.« Und ich habe noch nie erlebt, dass jemand gesagt hätte: »Mir doch egal!« Die sind froh, dass man sie anruft. Manchmal braucht es einfach jemanden von außen, der da eine Brücke baut. Es macht mich fassungslos, wegen welcher Lappalien Familien nicht mehr miteinander reden.
    Wenn ich morgens in die Zentrale fahre, bekomme ich meinen Plan und meine Schlüssel in die Hand gedrückt, und dann kurve ich los. Bei der mobilen Pflege weiß man selten, was einen erwartet, wenn man zur Tür reinkommt. Ich weiß vorher fast nichts über die Patienten. Da sind auch einige psychisch Kranke dabei, einer ist mir mal an den Hals gegangen. Den habe ich nur weggeschubst und
bin weggerannt. Es gibt auch ein paar Alkis, da sehe ich mit einem Blick auf den Bierkasten an der Tür, wie die Stimmung wohl sein wird. Ein anderer hatte die Türklinke von innen abgeschraubt, damit ich nicht wieder rauskomme. Seitdem achte ich immer drauf, wo der Schlüssel ist, ob die Türklinken da sind und ob ich im Zweifel einen schnellen Fluchtweg habe. Man muss sehr wachsam sein. Einer Kollegin hat mal ein Irrer ein Messer an den Hals gehalten, die musste im ersten Stock aus dem Fenster springen.
    Ich habe manchmal dreißig Einsätze am Tag und fahre dabei an die hundert Kilometer durch die Gegend. Jetzt habe ich mir auch einen Navi gekauft, mit Stadtplan und Landkarte wird man ja verrückt bei dem Zeitdruck. Ich verabreiche Tabletten und Spritzen, wechsle Verbände, wasche die Leute auch oder mache mal ein Abendbrot. Und für alles gibt es eine exakt festgelegte Zeitspanne. Für eine Injektion sind zum Beispiel fünf Minuten eingeplant, das absolute Maximum ist eine halbe Stunde. Das bekommt man aber wirklich nur mit der höchsten Pflegestufe.
    Ich muss ein Lesegerät dabeihaben, da muss ich, wenn ich komme, die Karte des Patienten reinstecken, und wenn ich gehe noch mal. Und nur exakt diese Zeit wird auch von der Kasse bezahlt. Wenn ich mal länger brauche, weil jemand eben mal eine Viertelstunde auf dem Klo sitzt: Pech gehabt.
    Der Zeitdruck versaut mir den Spaß an der Arbeit. Sozialer Kontakt, mal ein Gespräch führen, das ist doch total
wichtig für die Leute. Da kommt doch sonst keiner, manche sitzen wirklich die ganze Zeit vor dem Fernseher, zu denen dringt man geistig nur noch schwer vor.
    Neulich hatte ich so einen, da habe ich richtig gemerkt, der weiß schon gar nicht mehr, wie man sich mit jemandem unterhält. Aber ich komme doch nicht, um mit dem vorm Fernseher meine halbe Stunde abzusitzen. Also habe ich gesagt: »So, anziehen, wir gehen jetzt mal raus, spazieren.« Da war der schon seit fast vier Monaten nicht mehr vor der Tür gewesen. So was macht mich fuchsig, dass meine Vorgängerin offenbar nie auf die Idee gekommen ist, den mal unterzuhaken und an die frische Luft mitzunehmen. Da wundert es mich nicht, dass viele Leute Pflegekräfte nur als Arschabputzer sehen. Weil es viel zu viele gibt, die eigentlich keine Lust haben auf diesen Beruf.
    Viele Pflegekräfte steigen nach etwa drei Jahren im Job wieder aus. Und das ist ein Riesenproblem. Der Job ist schlecht bezahlt - ich arbeite für etwas mehr als acht Euro die Stunde, da lacht sich ja jede Putzfrau schlapp. Und er ist körperlich unglaublich anstrengend. Man muss viel heben, die wenigsten haben ja ein Pflegebett zu Hause, das man schön hoch- und runterfahren kann. Die liegen in diesen tiefen, durchgelegenen Ehebetten - das ist der Horror, die da rauszuwuchten.
    Da denken sich viele nach kurzer Zeit: Mal gucken, was ich sonst noch so machen kann, um mein Geld zu verdienen. Und wenn dann die Arbeitsmarktsituation schlechter wird oder das mit dem anderen Job auch nicht klappt,
kommen sie halt wieder zurück. Pflegekräfte werden nämlich immer gesucht. Und unmotivierte Mitarbeiter braucht man natürlich wie ein Loch im Kopf: Sie haben keinen Spaß am Beruf und machen das nur, weil sie damit ihre Miete zahlen. Die werden dann auf die Leute losgelassen, und das ist wirklich traurig. Außerdem gibt es so viele unterschiedliche Niveaus, da blickt kein Mensch mehr durch. Es gibt die examinierten Pflegekräfte, und dann gibt es Pflegehelfer und die Zivis. Manche sind top, andere können nicht mal Blutdruck messen. In meinen Fortbildungskursen meinten auch ein paar Kandidaten: »Blutdruck messen müssen wir nicht können.« Da hab ich

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