Wir sind die Nacht
schloss Louise.
»Hm«, machte Lena verlegen. »Danke.«
»Kein Problem«, sagte Louise. »Aber du musst allmählich lernen, mit deinen Kräften umzugehen. Du schwimmst jetzt schneller als die meisten Fische. Nicht dass du daran gestorben wärst oder so was, aber du hättest dir ziemlich übel wehtun können. Wir sind zwar nahezu unsterblich, aber Schmerzen spüren wir wie alle anderen auch.«
»Danke«, sagte Lena noch einmal. Absurderweise empfand sie einen heftigen Ärger auf Louise, wenn auch nur für einen ganz kurzen Moment. Dann machte sie sich klar, dass Louise sie schließlich oft genug gewarnt hatte. Es war wohl doch nicht ganz so einfach, von einem Tag auf den anderen nicht nur ein komplett neues Leben zu beginnen, sondern buchstäblich in einen anderen Körper zu schlüpfen.
Hinter ihnen erscholl ein gewaltiges Platschen, unmittelbar gefolgt von Noras albernem Kichern und Kreischen. Als Lena sich herumdrehte, sah sie sie gerade noch hinter einem Vorhang aus Schaum und hoch aufspritzender Gischt verschwinden. Charlotte saß noch immer am Ufer und blickte kopfschüttelnd in dieselbe Richtung.
»Marcus?«, fragte Lena erstaunt.
»Nora ist ein hübsches Mädchen«, antwortete Louise. »Und warum soll der gute Marcus nicht auch seinen Spaß haben. Immerhin verliert er seinen Job, wenn das hier rauskommt.«
»Dann stell ihn doch im Club an. Nora würde sich bestimmt freuen.«
»Du kennst Nora und ihren Appetit nicht. Marcus ist ein kräftiger Bursche, aber das würde er keine zwei Wochen überleben. Soll ich es dir beibringen?«
Lena hatte Mühe, dem plötzlichen Gedankensprung zu folgen. »Was?«
»Das Schwimmen.«
»Ich schwimme wie ein Fisch.«
Louise nickte. »Du schwimmst wie ein Delfin«, sagte sie. »Aber Charlotte, Nora und ich schwimmen wie Haie. Du willst doch nicht immer die Letzte sein, oder?«
Trotz allem war sich Lena tief im Innern immer noch nicht ganz sicher, ob sie überhaupt zu ihnen gehören wollte . Sie sah noch einmal zu Nora und dem gut aussehenden Wachmann hinüber, die übermütig im Wasser herumtollten.
»Lass die beiden Kinder ruhig ein bisschen spielen«, sagte Louise. »Komm, ich zeige dir die Geheimnisse der Tiefsee.«
Genau genommen war der Ozean an der tiefsten Stelle gerade einmal drei Meter tief, aber die Schöpfer dieser fantastischen Anlage hatten auch hier hervorragende Arbeit geleistet. Der Meeresgrund war bis ins letzte Detail nachgebildet, einschließlich der passenden Fauna und Flora für unterschiedliche Wassertiefen: Seeigel, Muscheln und Korallen bis hin zu künstlichen Krabben und anderen Bodenbewohnern.
Nach der Besichtigungstour tobten Louise und Lena ausgelassen über und unter Wasser dahin, spielten Fangen und lieferten sich spielerische Ringkämpfe, ohne jemals an die Grenze zu gehen, an der sie wirklich herausgefunden hätten, wer die stärkere von beiden war.
Bald musste Lena zugeben, dass Louise keineswegs übertrieben hatte: Sie war schon immer eine gute Schwimmerin gewesen, aber jetzt bewegte sie sich zehnmal schneller und mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre dies ihr ureigenstes Element. Louise jedoch beherrschte es, als wäre sie dafür geschaffen: Ihre blitzschnellen zuschlagenden Bewegungen hatten tatsächlich etwas von einem Hai.
Und dann schlug sie wirklich zu.
Sie tobten schon eine ganze Weile unter dem Wasserfall herum, und Louise hatte sie mindestens ein halbes Dutzend mal
untergetaucht, ohne dass es ihr umgekehrt gelungen wäre, aber sie war schließlich lernfähig. Als Louise das nächste Mal wie ein Hai auf sie zuschoss, drehte sie sich im allerletzten Moment zur Seite, tauchte blitzschnell unter und griff ihrerseits nach Louises Fesseln, um sie mit einer einzigen kraftvollen Bewegung unter die Wasseroberfläche zu reißen. Louise war so überrascht, dass sie den Mund zu einem Schrei aufriss und der größte Teil ihrer kostbaren Atemluft in einem Schwall aus silberfarbenen Luftblasen aus ihrem Mund entwich. Sie schlug blindlings um sich, aber Lenas Mitleid hielt sich in Grenzen. Ein ganz kleines bisschen Todesangst tat Louise vielleicht ganz gut.
Rasch zerrte sie sie bis auf den Grund hinab, stampfte sie kräftig mit den Füßen in den nachgeahmten Sand und registrierte mit grimmiger Befriedigung, wie nun das allerletzte bisschen Luft zwischen Louises Lippen hervorexplodierte. Dann ließ sie sie los, schließlich wollte sie sie nicht umbringen.
Louise stieß sich vom Boden ab und tat dann etwas ebenso Unerwartetes
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