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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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mit dampfender Flüssigkeit an ihre Lippen und zwang sie, es zu leeren. Es war Blut, eiskalt und dennoch voller pulsierendem Leben. Louises Gesicht waberte, drohte auseinanderzufließen, stabilisierte sich dann aber, als Lenas Sehvermögen zurückkam.
    »Bin ich … tot?«, brachte sie mühsam hervor. Aber war sie das nicht schon seit drei Tagen?
    »Nein«, antwortete Louise lachend. »So leicht stirbt es sich nicht, habe ich dir das nicht schon gesagt?« In das amüsierte Funkeln in ihren Augen mischte sich Ernst. »Aber ich sehe, dass ich dich von Anfang an richtig eingeschätzt habe.«
    »Womit?«
    »Dass du zu denen gehörst, die es am liebsten auf die harte Tour lernen«, antwortete eine andere Stimme. Erst danach trat Nora in ihr Blickfeld. Ihr Gesicht und ihre Hände waren unversehrt, und sie trug noch immer ihr schwarzes Emma-Peel-Outfit, das aber in Fetzen hing.
    »Wie meinst du das?«
    Nora schürzte die Lippen. »Ich hab dir gesagt, du sollst dir den Russen schnappen«, sagte sie. »Erinnerst du dich nicht?«
    Nicht genau. Sie erinnerte sich an vieles, aber eine Menge davon war so grauenhaft, dass es nur ein Albtraum gewesen sein konnte. Zögernd nickte sie.
    »Wenn du dir den Kerl geschnappt und sein Blut getrunken
hättest«, fuhr Nora fort, »dann wäre dir eine Menge erspart geblieben. Und mir übrigens auch.«
    Lena sah sie nur traurig an. Also war es doch kein Albtraum gewesen; und zugleich war er es doch. Sie hatte diese beiden Männer getötet, vielleicht nicht mit eigenen Händen, aber sie hatte sie umgebracht, ganz einfach dadurch, dass sie da gewesen war.
    »Nora hat recht«, sagte Louise sanft. »Er hätte euch beinahe erwischt, weil Nora auf dich aufpassen musste.«
    »Ich bringe niemanden um«, sagte Lena entschieden.
    »Der Kerl war im gleichen Augenblick tot, in dem er das Haus betreten hat«, sagte Nora verächtlich. »Hattest du Mitleid mit ihm?«
    Nein, das hatte sie nicht. Schon in dem einen unendlich kurzen Moment, in dem sie in seine Augen geblickt hatte, hatte sie erkannt, was für ein verdorbener und abgrundtief schlechter Mensch er war. Der Gedanke an seinen Tod machte ihr nicht zu schaffen. Er hatte den Tod verdient, sowohl nach den Gesetzen der Menschen als auch nach denen des Anstands, aber machte sie das automatisch zu seiner Scharfrichterin? Kaum.
    »Ich töte keinen Menschen«, sagte sie.
    »Nicht einmal, wenn sie dich töten wollen?«, fragte Louise.
    »Und das würden die allermeisten versuchen, wenn sie wüssten, was du bist«, fügte Nora hinzu.
    Natürlich würde sie sich wehren, wenn es sein musste. Aber wollte Louise ihr wirklich weismachen, das wäre kein Unterschied?
    »Ich trinke kein Menschenblut«, beharrte Lena.
    Nora machte ein verächtliches Geräusch und stieß mit dem Zeigefinger das Glas um, das sie gerade geleert hatte. Es rollte vom Tisch und zerbrach. »Und was, glaubst du, war das da?«
    »Nicht so.« Lena war immer noch hungrig. Die wenigen
Schlucke, die Louise ihr eingeflößt hatte, schienen die verzehrende Gier eher noch angestachelt zu haben.
    Louise seufzte tief, warf Nora einen mahnenden Blick zu und verschwand kurz. Als sie zurückkam, hielt sie ein frisches Glas in der einen und einen prall gefüllten Beutel mit einer Blutkonserve in der anderen Hand. Es war kein besonders verlockender Anblick.
    »Trink das«, sagte sie grob. »Und trink alles. Du wirst jedes bisschen Kraft brauchen, um hier herauszukommen.«
    »Wir lange willst du ihr noch dabei helfen, sich selbst zu belügen?«, sagte Nora abfällig. »Mach es ihr endlich klar! Wenn nicht jetzt, wann dann?«
    »Halt den Mund, Nora!«, sagte Louise scharf. »Jetzt ist wirklich nicht der richtige Moment dafür.«
    »Wofür?«, fragte Lena.
    Louise setzte zu einer beruhigenden Geste an, doch wieder war Nora schneller. »Was glaubst du, woher das da kommt?«, fragte sie höhnisch. »Schreiber-Pharmaceutics, wie?«
    Lena nickte. »Stimmt das etwa nicht?«
    »Doch«, antwortete Nora. »Und was glaubst du, woher die es haben? Denkst du, die brauen es im Reagenzglas zusammen?« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Es ist Menschenblut, Lenalein. Dasselbe Blut, das du nicht trinken willst.«
    »Nur dass dafür niemand sterben musste!«
    »Bist du dir da sicher? Woher willst du wissen, wie …«
    »Nora, das reicht«, unterbrach Louise sie. »Wir besprechen das später. Jetzt geh hinaus und hilf Charlotte!«
    »Aber …«
    »Sofort!«
    Nora funkelte sie herausfordernd an, dann fuhr sie auf dem Absatz

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