Wir sind die Nacht
Liebes.«
Lena schwieg dazu und rührte auch keinen Finger, um Louise zu helfen, die immer mehr Beutel heranschaffte. Wie es aussah,
gehörten Louise und die beiden anderen wohl zu den besten Kunden ihrer eigenen Firma.
»Louise?« Charlottes Stimme klang so leise und sanft wie immer, und doch war zugleich etwas darin, was sie beide aufhorchen und zu ihr eilen ließ.
Sie stand hinter dem erhöhten Pult des DJs und hatte einen Stapel CDs zusammengesucht, die sie offenbar mitzunehmen gedachte. Ihre Aufmerksamkeit galt jedoch einer Reihe kleiner Schwarz-Weiß-Monitore, die die gesamte Umgebung des ehemaligen Schwimmbades zeigten. Jetzt, eine Stunde vor Sonnenaufgang, sollte sie verlassen sein, doch direkt vor dem Haupteingang war ein silberfarbener Ford vorgefahren, auf dessen Dach ein Blaulicht flackerte.
»Besuch?«, murmelte Louise. »Um die Zeit und ohne sich anzumelden?«
»In der Tat, das ist unhöflich.« Auch Nora hatte sich zu ihnen gesellt, aber anders als Louise oder Charlotte sah sie nicht überrascht aus oder gar besorgt, sondern auf eine boshafte Weise eher erfreut. »Macht hier weiter. Ich kümmere mich um unsere Freunde und Helfer.«
Die Tür des Polizeiwagens ging auf, und Lena legte Nora rasch die Hand auf den Unterarm. »Nicht!«
»Allmählich wird dein kleiner Freund lästig«, sagte Nora, nickte aber dann widerwillig. »Also gut. Wimmle ihn ab - aber beeil dich. Fünf Minuten. Danach kümmere ich mich um ihn.«
Lena sah Hilfe suchend zu Louise, aber die schüttelte nur den Kopf und sagte ebenfalls: »Fünf Minuten. Beeil dich.«
Auf dem Monitor war zu sehen, wie Tom sich langsam dem Eingang näherte. Es war nicht zu erkennen, ob er allein gekommen war oder ein Kollege im Wagen wartete.
Lena lief so schnell wie möglich zum Eingang. Trotzdem wummerte Tom bereits zum dritten Mal mit der Faust gegen die Tür, als sie sie erreichte.
Im allerersten Moment wusste sie nicht, wie sie die Tür aufbekommen sollte. Es gab keinen Griff auf der Innenseite. Dann erscholl ein leises Klicken, und die Tür sprang einen Fingerbreit auf. Also gab es auch hier drinnen eine Kamera, und vermutlich hörten Louise und die anderen auch jedes Wort, das hier gesprochen wurde.
Die Tür schwang wie von Geisterhand bewegt weiter auf, und Tom, der gerade die Hand gehoben hatte, um noch einmal dagegenzuhämmern, erstarrte mitten in der Bewegung und sah sie zunächst perplex an.
Und dann unendlich erleichtert.
»Lena?«, murmelte er.
»Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, stand es jedenfalls so in meinem Ausweis«, antwortete sie lahm.
Tom schien die Worte nicht zu hören. Sein Blick tastete immer wieder an ihrer Gestalt hinab und wieder hinauf, und der Anteil von Unglauben und Fassungslosigkeit darin nahm eher noch zu.
»Ist … alles in Ordnung mit dir?«, fragte er stockend. »Ich meine: Fühlst du dich wohl?«
»Geht so«, antwortete Lena in bewusst abweisendem Ton. »Was willst du?«
»Nichts«, murmelte Tom. »Ich wollte nur … ich meine, ich …«
»Ist dir das Wort Stalker ein Begriff?«, fragte Lena kühl. »Sollte es eigentlich, wo du doch Polizist bist.«
»Ich war nur …«, begann Tom, verlor schon wieder den Faden und starrte sie so hilflos an, dass er ihr beinahe leidtat. Dann gab er sich einen Ruck und sprach mit festerer Stimme weiter: »Wo ist dein Wagen?«
»Mein Wagen?«
»Bitte, Lena - mir ist nicht nach Spielchen, und ich bin nicht blind. Der weiße Ferrari, in den du eingestiegen bist.«
»Der war nur geliehen«, sagte Lena. »Und ich …«
»Wo ist er?«, unterbrach sie Tom.
»Jemand ist damit weggefahren. Ein Kollege.«
»Wann?«
»Keine Ahnung«, log Lena. »Vielleicht vor einer Stunde oder so. Warum? Hat er falsch geparkt oder eine rote Ampel überfahren?«
»Es gab einen Unfall«, antwortete Tom. »Einen ziemlich üblen Unfall. Jemand ist mit einem weißen Ferrari Amok gefahren …« Er hob die Schultern und gab sich Mühe, sie direkt anzusehen. »Es gibt mindestens drei Tote, wenn nicht mehr. Die Unfallstelle wird noch abgesucht. Ein paar Zeugen behaupten, dass eine junge Frau mit dunklem Haar am Steuer gesessen hat.«
»Und da hast du gedacht, ich wäre es gewesen?« Es gelang Lena nicht ganz, ihre Stimme so abfällig und verletzend klingen zu lassen, wie sie es wollte.
»Ich habe mir Sorgen um dich gemacht«, gab Tom unumwunden zu. »So viele weiße Ferraris gibt es in der Stadt nicht.«
»Mindestens zwei«, erwiderte Lena. »Meiner war es jedenfalls nicht …
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