Wir sind die Nacht
warum, war ihr aber mehr als dankbar dafür.
Noras Unterwäsche war mindestens so schrill wie das Übrige. Lena bediente sich trotzdem, riss dann das Päckchen auf und empfand ein albernes, aber dennoch warmes Gefühl der Freude, als sie ihre Jeans und den Kapuzenpullover und sogar die geliebten Sneakers entdeckte, verzog dann aber das Gesicht, als ihr der Geruch in die Nase stieg. Sie hatten im Wasser gelegen, und Toms Waschmaschine war offensichtlich wirklich kaputt.
Sie zog die Sachen trotzdem an, strich aus einem uralten Reflex heraus das Geschenkpapier glatt und knüllte es schließlich kopfschüttelnd zu einem Ball zusammen, den sie davonkickte. Dann folgte sie Louise.
Lena brauchte einen Moment, um sich zu orientieren, weil sie sich in einem Teil des ehemaligen Schwimmbads befand, der ihr unbekannt war. Ihre scharfen Augen lieferten ihr trotz der Dunkelheit ein hinlängliches Bild, aber ohne ihre genauso scharfen Ohren hätte sie sich wahrscheinlich schon auf den ersten Metern verirrt. Sie musste ein ganzes Labyrinth kurzer Korridore
und leer stehender Räume durchqueren, ehe Louises Stimme deutlich genug wurde, um sie zu leiten.
Der Club war hell erleuchtet, aber verlassen. Die Musik war verstummt, und bis auf Louise und die beiden anderen war keine Menschenseele zu sehen, obwohl irgendetwas in der Luft lag, das das Gegenteil zu behaupten schien. Sie konnte spüren, dass Menschen hier gewesen waren, viele Menschen, und das vor nicht sehr langer Zeit. Beute. Reiche Beute.
Erschrocken schüttelte sie den Gedanken ab. Louise und Charlotte standen hinter der Bar und sprachen mit leiser Stimme und sehr ernster Miene miteinander. Anscheinend war es Louise immer noch nicht gelungen, Stepan zu erreichen. Als sie Lenas Kleidung sah, runzelte sie vielsagend die Stirn.
»Ich wäre dann so weit«, sagte Lena. »Wenn du mir vorher noch ein paar Fragen beantwortest.«
Louise wechselte noch ein paar halblaute Worte mit Charlotte - in einer Sprache, die Lena noch nie gehört hatte -, schickte sie dann mit einer befehlenden Geste weg und drehte sich ganz zu Lena um. »Noch ein paar Minuten«, sagte sie, ihren letzten Satz einfach ignorierend. »Wir müssen noch ein paar … Dinge erledigen. Dann verschwinden wir.«
»Wohin?«
»Ins Hotel.« Louise seufzte tief, und dann, nach einem fast melancholischen Blick in die Runde, noch einmal sehr viel tiefer. »Schade. Das alles hier wird mir fehlen.«
Es dauerte einen Moment, bis Lena begriff, was diese Worte bedeuteten. »Du meinst, wir kommen nicht mehr hierher zurück?«, vergewisserte sie sich. »Gar nicht?«
Louise maß sie mit einem langen Blick. »Jetzt, wo dein kleiner Polizistenfreund weiß, wo er uns findet?« Sie schüttelte den Kopf. »Das wäre nun wirklich keine gute Idee.«
»Aber …«
Louise schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab.
»Das ist nicht deine Schuld. Wirklich nicht. Wir sind schon viel zu lange hier. Ich dachte, es würde ewig so weitergehen, aber natürlich tut es das nie. Man muss auch wissen, wann es genug ist, oder?«
Lena hatte keine Ahnung, wovon sie sprach.
»Und wohin gehen wir?«
»Wir haben noch eine Stunde, ehe die Sonne aufgeht«, sagte Louise. »Kein Problem, es bis dahin zum Hotel zu schaffen. Danach überlegen wir in aller Ruhe, wie es weitergeht.«
»Ins Hotel?« Lena war sich nicht ganz sicher, ob sie lachen oder über so viel Naivität den Kopf schütteln sollte. »Und du glaubst nicht, dass Stepan uns da zuallererst suchen wird?«
»Wenn er wüsste, dass wir dort sind. Ich weiß, wie sich das für dich anhören muss, aber glaub mir einfach: Er weiß es nicht. Niemand weiß es.«
»Ja, weil ihr ja so unauffällig und durchschnittlich seid und euch so normal benehmt«, sagte Lena sarkastisch.
»Ganz genau das!« Louise wirkte auf einmal zornig. »Glaubst du, wir hätten all diese Jahrhunderte überlebt und unser Geheimnis bewahrt, wenn wir nicht gut darin wären, unsere Spuren zu verwischen?«
Mit einem Handstreich erklärte sie das Thema für beendet, ging hinter der Bar in die Hocke und tauchte mit einem halben Dutzend tiefgekühlten Blutkonserven im Arm wieder auf. Lena bemerkte erst jetzt die große Kühlbox, die am anderen Ende der Bar stand.
»Habt ihr genug davon?«, fragte Lena.
»Ja«, antwortete Louise, während sie die Beutel in die Plastikbox legte. Dann ging sie noch einmal zum Kühlschrank zurück, um den Rest zu holen. »Und du solltest dir wirklich langsam angewöhnen, wir zu sagen,
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