Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
Vom Netzwerk:
vorbei!« Lena war sich nicht ganz sicher, wie diese Worte gemeint waren, als sie zu ihr hochsah. Flammen schlugen aus Louises Gesicht und Händen, als der Wagen schwerfällig herumschwenkte und durch einen Streifen sengenden Sonnenlichts schoss. Der Wagen prallte gegen irgendetwas, was mit einem gewaltigen Scheppern davonflog, und kam schlingernd wieder auf Kurs. Louise gab fluchend so erbarmungslos Gas, als verwechselte sie den schwerfälligen Löschzug mit einem italienischen Sportwagen. Prompt begann der Motor zu stottern.
    Louise fuhrwerkte einen Moment wie wild mit Gangschaltung, Lenkrad und Pedalen herum und erkämpfte sich irgendwie die Kontrolle über den Wagen zurück. Tödliche Speere aus verheerendem Sonnenlicht zerbarsten in der gesprungenen Scheibe zu unzähligen dünnen Nadeln, die die Fahrerkabine in ein Labyrinth aus loderndem Tod verwandelten.
    »Hilf mir!«, befahl Louise. »Komm hoch! An die Tür!«
    Wieder gehorchte Lena, ohne nachzudenken. Sie rappelte
sich hoch, drehte das Gesicht aus der Sonne und roch den Gestank ihres schmorenden Haares. Zuckendes blaues Licht sprang ihr aus den Rückspiegeln entgegen, und durch das tobende Crescendo ringsherum drang jetzt auch wieder das Heulen von Polizeisirenen. »Sie kriegen uns«, sagte sie nervös.
    »Ja«, antwortete Louise grimmig. »Aber nicht heute. Kümmere dich um Charlotte. Wenn ich es dir sage, springt ihr.«
    Springen? Wohin denn?, dachte Lena entsetzt. Louise riss den Wagen in eine halsbrecherische Kurve, schnippte einen blau-silbernen Streifenwagen von der Straße, dessen Fahrer tollkühn genug gewesen war, zum Überholen anzusetzen, und wechselte auf die linke Fahrspur in den Gegenverkehr, um dem direkten Sonnenlicht auf der anderen Seite auszuweichen. Es gelang ihr nicht ganz. Ihr linker Arm und die Schulter blieben im Sonnenlicht und begannen augenblicklich wieder zu schwelen. Schwarzer Rauch und orangefarbene Funken stiegen auf, und ein gedämpfter Schmerzlaut entrang sich Louises Lippen, aber sie hielt das Lenkrad nur mit umso verbissenerer Kraft umklammert und gab noch mehr Gas, ohne auf den Gegenverkehr zu achten. Wie durch ein Wunder war es bisher noch nicht zu einem Zusammenstoß gekommen.
    »Wir springen raus, sobald wir im Tunnel sind«, sagte Louise. Sie deutete mit dem Kopf auf Charlotte, die sich immer noch im Fußraum krümmte. »Du musst ihr helfen.«
    Lena verstand. Im Tunnel waren sie vor den tödlichen Sonnenstrahlen sicher … aber was versprach sich Louise davon? Keiner ihrer Verfolger versuchte jetzt, sie zu überholen, aber die Straße hinter ihnen wimmelte mittlerweile von Polizeiwagen, und wie sie Tom und seinen schmerbäuchigen Kollegen kannte, brüllten sie jetzt schon in ihre Funkgeräte, um die andere Seite dichtzumachen. Dieser Tunnel war nichts als eine Falle, aus der sie nie wieder herauskamen. Louise gab jedoch unverdrossen weiter Gas, riss den gewaltigen Löschzug im letzten
Moment zur Seite und wechselte abermals die Spur. Goldfarbener Tod erfüllte die Fahrerkabine, dann so vollkommene Dunkelheit, dass Lena eine Sekunde lang gar nichts mehr sah.
    Als sich ihre Augen an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, kippte die Welt auf die Seite. Die Tür, nach der sie greifen wollte, war von einem Sekundenbruchteil auf den anderen einfach verschwunden, Glas, Funken und Trümmer regneten auf sie herab, dann stellte sich der Wagen endgültig quer, kippte auf die Seite und hätte sich wahrscheinlich überschlagen, wäre der zweispurige Tunnel groß genug dafür gewesen. So verkantete er sich nur, brach mit einem ungeheuren Getöse in zwei Teile und rutschte in einem Wust aus Funken und Flammen und sich unablässig weiter auflösenden Trümmern tiefer in den Tunnel hinein.
    Von alledem bekam Lena schon nichts mehr mit.

27
    Etwas Süßes füllte ihren Mund, als sie erwachte, und es hätte der barschen Stimme nicht bedurft, die sie zu schlucken aufforderte. Was ihre Kehle hinunterlief, war pures Leben; wenn auch mit einem unangenehmen Beigeschmack, den sie nicht einordnen konnte, auch wenn sie das Gefühl hatte, ihn irgendwoher zu kennen. Es spielte auch keine Rolle. Aller Schmerz und jegliche Angst vergingen, je mehr von dem köstlichen Göttertrunk sie bekam, und sie konnte spüren, wie eine Woge nie gekannter Kraft sie durchströmte.
    »Das ist jetzt genug.«
    Tief in sich spürte sie, dass es nicht nur schädlich, sondern auch gefährlich sein konnte, wenn sie weitertrank, aber auch dieser Gedanke war

Weitere Kostenlose Bücher