Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
Vom Netzwerk:
man sich den Kopf anstößt.«
    Die Worte klangen selbst in ihren Ohren ausgesprochen dumm, aber Tom schien sie gar nicht zu hören - auch wenn er einen Schritt in ihre Richtung machte und die Hand hob, beinahe als müsste er sie anfassen, um sich davon zu überzeugen, dass sie auch tatsächlich da war. Er führte die Bewegung nicht zu Ende.
    »Lena?«, murmelte er noch einmal.
    »Ich hab mich in der Zwischenzeit nicht umtaufen lassen«, antwortete sie gereizt. Das lief nicht gut. Dieses Gespräch entwickelte sich völlig anders, als sie es erwartet hatte … Aber was hatte sie eigentlich erwartet? Dass er ihr um den Hals fiel und sie voller Wiedersehensfreude an sich drückte? Kaum.
    Vermutlich konnte sie von Glück sagen, dass er sie nicht auf der Stelle erschossen hatte.
    Toms Verwirrung schien für einen Moment ins Unermessliche zu wachsen, aber dann konnte sie ihm ansehen, wie er sich mit aller Gewalt zusammenriss; auch ganz körperlich. Er trat wieder einen halben Schritt zurück, straffte die Schultern und räusperte sich ein paarmal unecht.
    »Was willst du hier?«, fragte er. »Warum bist du gekommen?«
    »Weil ich Hilfe brauche«, antwortete sie.
    Das war die ehrlichste Antwort, die sie ihm im Augenblick zumuten konnte, aber seine Reaktion enttäuschte sie.
    »Und da kommst du ausgerechnet hierher?«, fragte er.
    »Ich wusste nicht, wohin.«
    Tom seufzte. »Dir ist doch klar, dass ich dich nicht wieder gehen lassen kann, oder? Nicht nach dem, was passiert ist.«
    Lena sagte vorsichtshalber gar nichts dazu. Nach dem, was
heute Vormittag passiert war, hätte ihm eigentlich klar sein müssen, wie lächerlich schon der bloße Gedanke war, sie aufhalten zu wollen … aber was sollte er tun?
    Vielleicht war es ein Fehler gewesen, hierher zu kommen.
    »Gut«, sagte er schließlich, als sie ihn nur weiter traurig anblickte und er ihr Schweigen - natürlich - falsch deutete. »Ich versuche dir zu helfen, auch wenn ich das Gefühl habe, gerade den größten Fehler meines Lebens zu machen. Aber dazu musst du mir alles sagen.«
    »Du würdest mir nicht glauben.«
    Tom lachte. »Du hast ja keine Ahnung, was für verrückte Geschichten ich schon gehört habe.«
    »So eine noch nicht.«
    »Kommt auf einen Versuch an.« Tom hob die Schultern, und sie konnte spüren, wie er nun endgültig die Fassung zurückerlangte, wo er sich wieder auf gewohntem Terrain bewegte. Ganz gleich, was vorher passiert sein mochte, jetzt war er wieder Polizist und sie eine Verdächtige, die er verhörte. Selbst seine Stimme veränderte sich. »Warum erzählst du mir nicht einfach alles, und zwar von Anfang an?« Er machte eine fragende Geste. »Möchtest du etwas trinken?«
    Sie war tatsächlich durstig, aber nicht auf irgendetwas, was er vermutlich dahatte. Sie schüttelte den Kopf. »Ich … habe einen Fehler gemacht«, begann sie.
    »Ja, das scheint mir auch so. Und so fangen auch die meisten Geschichten an, die ich zu hören bekomme.«
    »Ich … ich weiß einfach nicht mehr, was ich tun soll«, sagte Lena. »Ich glaube auch nicht, dass du mir helfen kannst, aber ich musste einfach mit jemandem sprechen, verstehst du das?«
    Er nickte.
    »Ich fürchte, ich habe mich mit den falschen Leuten eingelassen«, fuhr Lena fort. »Und jetzt gibt es kein Zurück mehr.«
    »Es gibt immer ein Zurück«, antwortete er.

    Lena schüttelte diesmal noch heftiger den Kopf. Sie wusste, dass er ihr nicht glauben würde - und dass es nur einen einzigen Weg gab, ihn zu überzeugen. Aber wenn sie das tat, dann gab es auch für ihn kein Zurück mehr. Sie zögerte ein allerletztes Mal.
    »Wo ist dein Bad?«, fragte sie dann.
    Tom machte eine Kopfbewegung hinter sich, ohne dass sein Blick sie losließ. »Die Tür links.«
    »Dann komm mit.«
    Jetzt war Tom ein bisschen irritiert, deutete aber nur ein neuerliches Schulterzucken an und folgte ihr mit einem Schritt Abstand. Erneut spürte sie etwas … nichts Gutes, als sie dicht an ihm vorüberging, aber sie war sich jetzt nicht mehr sicher, ob es wirklich eine Krankheit war oder der Schmerz, den ihm seine Wunde bereitete. Da war etwas in ihm, was sie gleichzeitig erschreckte und anzog.
    Sie verscheuchte den Gedanken, betrat das Bad und tastete blind nach dem Lichtschalter. Es dauerte eine Sekunde, bis die Neonröhre unter der Decke flackernd zum Leben erwachte.
    »Ich weiß nicht, was du dir jetzt vorstellst«, sagte Tom in leicht unbehaglichem Ton, »aber ich kann nicht …«
    »Nicht das, was du glaubst.« Sie

Weitere Kostenlose Bücher