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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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hinter ihr hämmerte und eine wahre Explosion aus Porzellanund Glassplittern verursachte, die ihr ein weiteres halbes Dutzend schmerzhafter Schnitte in Nacken und Gesicht bescherten, noch während Tom sie zu Boden riss, um sie unter sich zu begraben und mit seinem Körper zu beschützen. Schmerz loderte wie eine rote Flamme in ihrer Schulter und wurde von einer Woge aus rasendem Zorn davongespült, der in ihr explodierte. So mühelos, als wäre er gar nicht da, schleuderte sie Tom zur Seite, kam mit einer geschmeidigen Bewegung auf Hände und Knie hoch und hätte fast gelacht, als Lummer ihr den Pistolenknauf in den Nacken hämmerte. Der Schlag tat genauso weh, wie sie es sich vorgestellt hätte, aber zugleich war der Schmerz auch sonderbar irreal, und statt sie zu lähmen, fachte der Hieb ihren Zorn nur zu purer Raserei an. Aufzuspringen und ihn zu töten wäre ein Leichtes für sie gewesen, und dasselbe galt für das halbe Dutzend Männer in seiner Begleitung; sie wusste nicht nur, dass sie sie überwältigen und von hier verschwinden konnte, ehe auch nur einer von ihnen wirklich begriff, was geschah, sie wollte es. Alles in ihr schrie nach ihrem Blut und dem Leben, das es bedeutete; das sie brauchte wie nichts anderes auf der Welt.
    Aber wenn sie das tat, dann würde sie Tom ebenfalls töten müssen, und so verzichtete sie darauf, ihm und seinen Begleitern nicht nur die schlimmste, sondern zugleich auch letzte Überraschung ihres Lebens zu bereiten. Sie ließ es widerstandslos zu, dass Lummer ihr die Arme auf den Rücken drehte und ihr Handschellen anlegte.

30
    Der Raum war sehr klein, selbst für eine Gefängniszelle, besaß kein Fenster, und das Mobiliar - wenn man es so nennen wollte - bestand aus einer gemauerten Liege und einem winzigen Tisch, dessen Beine mit dem Boden verschraubt waren. Hätte sie noch normale Augen gehabt, dann hätte das trübe Licht der Energiesparlampe, die hinter einer Scheibe aus unzerbrechlichem Drahtglas in der Decke eingelassen war, kaum ausgereicht, um sich bei ihrem ruhelosen Hin und Her (zwei Schritte in jede Richtung) nicht die Schienbeine und Hüfte anzuschlagen, und es stank so durchdringend nach kaltem Schweiß, Erbrochenem und Urin, dass ihr übel wurde, wenn sie den Fehler beging, zu tief einzuatmen.
    Lena vermutete, dass dieses Loch normalerweise als Ausnüchterungszelle diente, auch wenn sie sich ein wenig wunderte, dass es so etwas in einem Gebäude des LKA überhaupt gab. Sie war seit einer guten Stunde hier unten, und das einzige Anzeichen von Leben war ein misstrauisches Augenpaar gewesen, das eine ganze Weile durch das schmale Guckloch in der Tür zu ihr hereingestarrt hatte. Inzwischen musste es fast Mitternacht sein, und Lena hatte beschlossen, noch eine weitere Stunde zu warten, bis sie daranging, etwas an ihrer misslichen Situation zu ändern.
    Sie hatte längst begriffen, was für einen gewaltigen Fehler sie begangen hatte, sich kampflos gefangen nehmen zu lassen. Sie
hätte selbst nicht sagen können, warum sie das getan hatte. Es war ihr einfach richtig vorgekommen. Aber das änderte sich mit jedem Moment mehr, der verstrich und in dem sie darauf wartete, dass irgendetwas passierte.
    Und mit dem ihr Hunger größer wurde.
    Zum wiederholten Mal erhob sie sich von der unbequemen gefliesten Bank und ging zur Tür, um sie zu inspizieren. Sie war aus Metall und so stabil, wie man es von einer Zellentür erwarten konnte. Lena hatte gesehen, wozu Louise und die anderen mit bloßen Händen imstande waren, aber sie bezweifelte, dass sie es mit dieser Tür aufnehmen konnte. Und selbst wenn? Sollte sie sich ihren Weg mit purer Gewalt durch eine Hundertschaft Polizisten metzeln und eine Spur von Toten hinterlassen? Kaum. So weit war sie noch lange nicht, und sie hoffte von ganzem Herzen, dass sie es auch niemals sein würde.
    Sie schlug aus purem Frust mit der flachen Hand gegen die Tür und ging zu ihrer gemauerten Sitzbank zurück. Auf einmal vernahm ihr feines Gehör Schritte durch das dicke Metall hindurch. Etwas kam näher. Etwas Lebendiges und Warmes. Ihr Magen knurrte leise.
    Die Tür wurde geöffnet, und eine junge Polizistin trat ein. Sie hatte langes, zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebundenes Haar und ein freundliches Gesicht, und obwohl sie ihr mit professioneller Distanz gegenübertrat, spürte Lena nicht die Spur von Feindseligkeit in ihr.
    »Mitkommen«, sagte sie knapp. Als Lena sich von der gemauerten Bank erhob, wich die Polizistin auch prompt

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