Wir sind die Nacht
was er getan hat oder auch nicht. Ist auch nicht mein Problem. Und ich weiß auch nicht, was Sie von mir wollen.«
»Fangen wir mit drei toten Polizisten an«, antwortete Lummer.
Seine Stimme klang jetzt deutlich kälter. »Vielleicht werden es auch noch mehr. Ein halbes Dutzend unserer Kollegen liegt im Krankenhaus, und es ist noch nicht sicher, ob sie alle durchkommen. Dazu kommt dann noch die Mannschaft des Feuerwehrwagens, ein Hotelangestellter und mindestens zwei Hotelgäste.«
Plötzlich schlug er mit der flachen Hand so fest auf den Tisch, dass die Blätter des Aktenordners raschelten.
»Verdammt, Mädchen! Du und deine Freundinnen, ihr habt eine Blutspur durch die ganze Stadt gezogen, die breiter ist als eine Autobahn! Was glaubst du, was jetzt passiert? Dass wir dich gehen lassen und dir noch ein nettes Entschuldigungsschreiben mitgeben, das vom Bürgermeister persönlich unterzeichnet ist? Ganz bestimmt nicht!«
»Ich habe niemanden umgebracht«, sagte Lena. »Oder haben Sie oder sonst jemand es gesehen?«
»Und du glaubst, das spielt nach dem Massaker, das du mit deinen Freundinnen angerichtet hast, eine Rolle?« Lummer schrie fast. »Ganz bestimmt nicht! Was hattet ihr eigentlich vor? Einen Krieg vom Zaun brechen? Wenn, dann ist euch das gelungen!«
Der plötzliche Wutausbruch hätte sie weder überraschen noch verunsichern dürfen, denn natürlich gehörte das nur zu seiner Taktik … aber er tat es, wenn auch aus einem völlig anderen Grund, als er ahnen konnte. Sie spürte seinen Zorn, aber statt sich davon einschüchtern zu lassen, nahm etwas in ihr seine Wut als Herausforderung, sich auf ihn zu stürzen und ihm zu zeigen, was er von ihr wissen wollte. Sie presste die Lippen zusammen und schloss die Finger mit aller Kraft um die Tischkante. Das Holz knirschte hörbar, und Lena lockerte ihren Griff hastig wieder.
»Ich glaube, ich möchte jetzt doch einen Anwalt«, sagte sie. »Der steht mir doch zu, oder?«
»Theoretisch«, antwortete Lummer. »Und im Fernsehen und in Kriminalromanen.«
»Und in Wirklichkeit nicht?«
»Wir haben drei tote Kollegen, Mädchen!«, fauchte Lummer. »Dazu ein halbes Dutzend toter Zivilisten, ein renovierungsbedürftiges Luxushotel und eine Spur aus demolierten Autos, die durch die ganze Stadt reicht, und als wäre das alles noch nicht genug, scheint hier so etwas wie ein ausgewachsener Bandenkrieg zu toben. Kein Hahn kräht nach einer kleinen Möchtegern-Punkerin wie dir, glaub mir.«
»Meine Freundinnen und ich haben mit alledem nichts zu tun«, sagte Lena schleppend. Es kostete sie immer mehr Überwindung, sitzen zu bleiben und sich nicht auf ihn zu stürzen.
»Natürlich nicht«, spottete Lummer. »Ich nehme an, das war alles nur eine Verkettung von ganz schrecklichen Missverständnissen, nicht wahr?« Er beugte sich so weit vor, dass Lena das Blut in seinen Adern nun tatsächlich riechen konnte. Der Geruch machte sie fast wahnsinnig.
»Dann sag mir, wo wir deine Freundinnen finden können, um mit ihnen zu reden. Ich bin mir sicher, dass sich dann alles aufklärt.«
»Wo ist der andere?«, fragte Lena.
»Welcher andere?«
»Ich dachte, das Spiel heißt ›guter Bulle, böser Bulle‹«, antwortete Lena. Sie machte eine Kopfbewegung zur Tür. »Wann kommt denn der Böse, der mir Angst machen soll?«
»Du hältst das alles hier für ein Spiel, wie?«, sagte Lummer. »Aber das ist es nicht, Kindchen.«
»Ich verstehe«, sagte Lena. »Ich sollte anfangen zu kooperieren. Wenn ich Ihnen alles erzähle, was ich weiß, dann lassen Sie mich gehen?«
»Die Frage ist eher, ob du mit Mitte dreißig wieder aus dem Gefängnis kommst oder als alte Frau«, antwortete Lummer.
»Mit Mitte dreißig bin ich eine alte Frau«, sagte Lena. »Und ich gehe ganz bestimmt nicht ins Gefängnis. Ich habe nichts getan.«
»Das mag sogar stimmen«, erwiderte Lummer. »Aber die Gefängnisse sind voll von Leuten, die nichts getan haben.« Er blätterte in der Akte und tat so, als suchte er nach etwas. »Du kennst dich ja da aus, wie ich hier sehe. Zwei Jahre wegen Autodiebstahls.« Er schüttelte den Kopf. »Aber das war Jugendgefängnis. Gegen das, was dich in einem Hochsicherheitstrakt erwartet, war das das reinste Erholungsheim, glaub mir.«
»Ich habe nichts getan«, beharrte Lena. »Verdammt, was wollen Sie eigentlich von mir? Meine Mutter ist umgebracht worden! Ein guter Freund von mir ist ermordet worden, und ich wurde entführt und beinahe selbst umgebracht, das haben
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