Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
Vom Netzwerk:
keine mehr. Ich kann vielleicht noch eine halbe
Stunde herausschinden, bis ich dich bei den wirklich unangenehmen Jungs abliefern muss, und danach gibt es nichts mehr, was ich für dich tun kann.«
    »Und was wäre das?«
    »Das kommt darauf an, was du mir erzählst.«
    »Und dann helfen Sie mir?«
    »Dir?« Lummer lachte. »Mädchen, du bist mir völlig schnurz. Ich habe nichts gegen dich, versteh mich nicht falsch, aber ich weiß auch, wie wenig Sinn es hat, dir helfen zu wollen.«
    »Ach ja?«, sagte Lena. »Weil wir uns so gut kennen?«
    »Weil du schon oft genug hier warst«, antwortete er. »Ich habe schon hundertmal mit dir gesprochen und mir hundert verschiedene Geschichten angehört. Wahrscheinlich sind sie alle sogar irgendwie wahr, und sie sind alle gleich traurig. Und sie enden alle gleich. Ich kann dir anbieten, dir zu helfen, und es auch tun. Eine Menge gutwilliger Trottel werden viel Zeit und Energie investieren, um dich wieder auf den rechten Weg zu bringen, und eine Menge Geld und Arbeitskraft, und am Schluss landest du doch wieder im Knast, oder auf dem Strich.« Er verzog die Lippen, aber es war kein Lächeln. »Wenn du dir nicht vorher den goldenen Schuss verpasst oder den Falschen beklaust. Genau so wird es enden, Schätzchen. Glaub mir, ich weiß das. Ich habe es oft genug erlebt.«
    »Wird man so, wenn man lange genug Polizist ist?«, fragte Lena. »Zum Zyniker?«
    »Wenn man Glück hat.« Lummer schüttelte den Kopf. »Es geht mir nicht um dich, Lena. Ich will Tom helfen. Ich weiß nicht, was in den Jungen gefahren ist, aber er hat Kopf und Kragen für dich riskiert, und ich werde nicht tatenlos zusehen, wie sein ganzes Leben den Bach runtergeht, nur weil seine Hormone verrücktspielen!« Er sah noch einmal auf die Armbanduhr. »In genau fünfundvierzig Minuten warten unsere Vorgesetzten auf uns, und zwar die von ganz oben, und ich werde ihnen etwas
erzählen müssen. Gib mir etwas, was ich ihnen sagen kann, um Toms Kopf aus der Schlinge zu ziehen, und ich verspreche dir, dass ich alles für dich tue, was in meiner Macht steht. Ich mache dir nichts vor: Du wirst einfahren müssen, und es wird bestimmt nicht angenehm … aber es liegt an dir, ob es ein paar Jahre werden oder lebenslänglich.«
    »Ich will jetzt mit Tom reden«, beharrte Lena. »Holen Sie ihn, oder lassen Sie mich wegbringen. Ist mir egal.«
    Lummer machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung. Er steckte das Büchlein wieder weg, seufzte erneut und sah dann zum Fenster hin. Lena tat dasselbe. Tatsächlich meinte sie eine vage Bewegung dahinter wahrzunehmen, aber sie konnte nicht sagen, ob das an ihrem verbesserten Sehvermögen lag oder sie es nur sah, weil sie es sehen wollte. Nur einen Moment später jedoch ging die Tür auf, und Tom kam herein.
    »Ist schon gut«, sagte er, als Lummer auffahren wollte. »Sie hat recht. Lass mich einen Moment mit ihr reden. Allein.«
    »Keine Chance«, blaffte Lummer. »Du hast schon genug Blödsinn angerichtet. Ich habe keine Lust, meine Karriere im Klo runterzuspülen.«
    Er machte ein grimmiges Gesicht, aber sein Blick irrte auch wieder kurz zum Einwegfenster, und Lena verstand: Sie waren immer noch nicht allein.
    »Dann bring sie zum Erkennungsdienst«, sagte Lummer ein bisschen resignierend. »Das volle Programm. Wir wollen doch sicher sein, dass wir auch hübsche aktuelle Fotos bekommen. Am besten, du machst das selbst.«
    Er stand mit einem so heftigen Ruck auf, dass sein Stuhl klapperte, kam um den Tisch herum und zog ein Paar auffällig verchromter Handschellen hinter dem Rücken hervor, das er ihr unwillig anlegte. Lena ließ es widerstandslos geschehen, aber ihr entging auch nicht, dass Tom einen Moment lang sehr angespannt aussah. Vielleicht erinnerte er sich ja daran, wie mühelos
sie seine Hände heruntergedrückt hatte, als er sie festzuhalten versucht hatte.
    »Ist das wirklich nötig?«, fragte er.
    »Und ob!«, schnaubte Lummer. »Sei froh, dass ich es nur bei Handschellen belasse! Nach dem kleinen Stunt im Hotel müssten wir sie eigentlich komplett fixieren.«
    Er überzeugte sich noch einmal davon, dass die Handschellen auch sicher angelegt waren, und bemühte sich um ein noch grimmigeres Gesicht, von dem Lena jetzt beinahe sicher war, dass es einzig einem heimlichen Beobachter galt. »Und mach keinen Blödsinn, verstanden?«
    Lena war sich nicht im Klaren darüber, wem diese Worte galten. Sie reagierte trotzdem mit einem angedeuteten Nicken darauf, spannte aber insgeheim

Weitere Kostenlose Bücher