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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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Ausdruck der Überraschung auf seinem Gesicht gespielt war, dann perfekt. »Ich glaube schon«, sagte er schließlich. »Auch wenn es am Ergebnis nicht viel ändern wird, ehrlich gesagt.«
    Lena blickte fragend.
    »Lebenslang ist lebenslang«, fuhr Lummer fort. »Die Frage ist nur, ob mit oder ohne anschließender Sicherheitsverwahrung.«
    »Lebenslang«, wiederholte Lena. »Wofür?«
    »Mord?«, schlug Lummer vor.
    »Und wen soll ich ermordet haben?« In Gedanken fragte sie sich, warum sie diese entwürdigende Farce eigentlich mitmachte. Vielleicht war es ja richtig gewesen, sich widerstandslos festnehmen zu lassen, schon um weiteres unnötiges Blutvergießen zu vermeiden und Tom zu schützen - aber warum stand sie nicht einfach auf, schlug zuerst ihm den Schädel und dann die Tür ein und verschwand? Sie wusste, dass niemand sie aufhalten konnte. Nicht, solange es dunkel war.
    »Die Liste ist zu lang, als dass ich sie auswendig aufsagen könnte«, antwortete Lummer. »Fangen wir mit Ihrem Bewährungshelfer an.«
    »Holden?«, sagte sie. »Er ist tot?«
    »Jemand hat ihm die Kehle durchgeschnitten, und zwar im
Keller des Hauses, in dem sich Ihre Wohnung befindet. Eine ziemliche Schweinerei.«
    »Und Sie glauben, dass ich das war?«
    »Sie wurden ganz in der Nähe gesehen«, gab Lummer unbeeindruckt zurück. »Zusammen mit einer weiteren jungen Frau. Ich nehme an, es war eine von den dreien, mit denen Sie im Hotel waren. Warum fangen wir nicht damit an, dass Sie mir sagen, wer die anderen sind?«
    »Ich kenne nur ihre Vornamen«, sagte Lena.
    Lummers linke Augenbraue rutschte nach oben. Sie sah ihm an, dass er ihr nicht glaubte. Dennoch machte er nur eine auffordernde Kopfbewegung zum Aufnahmegerät auf dem Tisch. »Nur zu. Das ist immerhin ein Anfang.«
    »Ich will Tom sehen. Ich rede nur mit ihm.«
    Lummer seufzte. »Sie mögen ihn, nicht wahr?«, sagte er, seufzte noch einmal leise und antwortete sich dann selbst mit einem Kopfnicken. »Wenn das wirklich so ist, dann sollten Sie sich vielleicht selbst mal fragen, ob Sie ihm wirklich noch mehr Schwierigkeiten machen wollen.«
    »Schwierigkeiten?«
    Lummer schnaubte. »Was glauben Sie, warum wir hier sind und nicht in meinem Büro?«, fauchte er. »Verdammt, Lena, der Junge ist nicht nur mein Kollege, sondern mein Freund! Ich versuche ihm zu helfen, soweit das überhaupt noch geht! Solange wir hier sind und die ganz große Maschinerie noch nicht zu laufen angefangen hat, kann ich vielleicht noch das eine oder andere geradebiegen, aber dazu brauche ich Ihre Hilfe. Der Junge hat seine Karriere für Sie riskiert, ist Ihnen das eigentlich klar? Möchten Sie, dass er gefeuert wird und möglicherweise Ihretwegen ins Gefängnis kommt?«
    »Blödsinn«, antwortete Lena. »Er hat nichts getan.«
    »Eben!«, schnappte Lummer. »Er hat nichts getan. Gar nichts. Aber das hätte er müssen. Er hätte Sie verhaften müssen, und
genau das hat er nicht getan! Er hat Sie mindestens zweimal laufen lassen, er hat mir und allen unseren Kollegen Informationen vorenthalten, und wir haben Sie in seiner Wohnung aufgegriffen. Ein kleinlicher Staatsanwalt könnte das als Beihilfe auslegen.«
    »Er hat es versucht«, sagte Lena.
    »Was? Ihnen zu helfen?«
    »Mich zu verhaften. Aber ich war schneller.«
    »Quatsch!«
    »Ich kann sehr schnell sein, wenn es sein muss.«
    Lummer biss wütend die Zähne aufeinander, aber in seinem Gesicht erschien auch eine Spur von Unsicherheit, als er den Blick über ihre Schulter tasten ließ. Von der Wunde war schon nichts mehr zu sehen gewesen, als er ihr die Handschellen angelegt und sie derb auf die Beine gezerrt hatte, aber ihr Pullover war nicht geheilt. Das Loch, das die Kugel gerissen hatte, war beinahe faustgroß und hatte verkohlte Ränder, und Lena fragte sich, ob ihm wohl auch das eingetrocknete Blut auf dem schwarzen Wollstoff aufgefallen war. Vermutlich.
    »Der Junge hat sein Leben für Sie riskiert, Lena!«, fuhr Lummer nach einer Weile fort. »Nur falls Sie’s nicht mitbekommen haben sollten. Sie haben eine seltsame Art, es ihm zu danken, finde ich. Was glauben Sie, würde er wohl davon halten, wenn er Sie jetzt so sehen könnte? Und hören?«
    Statt zu antworten, drehte Lena betont langsam den Kopf und sah zu dem Einwegfenster in der Wand hin. Tom stand dahinter und beobachtete sie nicht nur, sondern hörte auch jedes Wort, das spürte sie.
    »Was glauben Sie, wie egal mir das ist?« Sie wandte sich wieder an Lummer. »Ich hab keine Ahnung,

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