Wir sind die Nacht
Russen vorbeikam, hob sie die Waffe nun doch auf und schob sie sich unter den Hosenbund, bevor sie ihren Weg fortsetzte - obwohl sie sie nicht brauchen würde. Da war nichts, was ihr widerstehen konnte.
Lautlos huschte sie weiter, spähte durch den Türspalt und hätte beinahe erleichtert aufgeatmet, ihre schlimmsten Befürchtungen doch nicht bestätigt zu sehen. Die Wache bot einen Anblick des Schreckens, aber es gab keine Toten. Der junge Bursche mit der Lederjacke lag am Boden und krümmte sich wimmernd. Er hatte beide Hände vor das Gesicht geschlagen, und Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor, aber er lebte. Drei weitere von Stepans Männern standen mit dem Rücken zu ihr da und hielten die restliche Besatzung der Wache mit Pistolen und Pumpguns mit abgesägten Läufen in Schach, und irgendwo
außerhalb ihres Blickfeldes sprach jemand aufgeregt etwas auf Russisch; vermutlich in ein Handy, denn er unterbrach seinen Redeschwall immer wieder, wie um zu lauschen.
Lena überlegte einen Moment angestrengt. Der vierte Mann konnte zu einem Problem werden, weil sie weder wusste, wo genau er sich befand, noch ob er bewaffnet war und womit. Aber spielte das eine Rolle?
Lena beantwortete ihre eigene Frage mit einem lautlosen Kopfschütteln und einem geringschätzigen Verziehen der Lippen. Keiner der drei Burschen, die sie sehen konnte, hatte so etwas wie eine Lampe an seiner Waffe befestigt. Wenn die Kerle wirklich dumm genug waren, mit einer normalen Waffe auf sie zu schießen, würden sie dieselbe tödliche Überraschung erleben wie ihr Kumpan.
Eine sonderbare Ungeduld ergriff sie. Das Raubtier in ihr scharrte mit den Krallen und schrie danach, sich in den Kampf zu stürzen, das Blut ihrer Beute zu schmecken und ihr Fleisch zu zerreißen.
Mit sehr viel mehr Mühe, als sie sich selbst eingestehen wollte, brachte sie das drängende Flüstern zum Verstummen, zog die Tür lautlos weiter auf und registrierte fast unbewusst, wie einer der Gangster den Kopf zu drehen begann. Anscheinend war ihre Bewegung doch nicht ganz so lautlos gewesen, wie sie es gehofft hatte.
Nicht dass es ihm etwas nutzte. Lena war bei ihm, noch bevor er die Bewegung ganz zu Ende geführt hatte. Mit einer zornigen Bewegung entrang sie ihm das kurzläufige Schrotgewehr, rammte ihm den Kolben mit Wucht in den Leib und stürzte sich dann auf den nächsten Russen. Dem erging es nicht viel besser als dem ersten: Lena schlug ihm die Waffe aus der Hand, stieß ihn mit der anderen Hand zu Boden und raste unverzüglich weiter, um sich auf den dritten Angreifer zu stürzen. Fast beiläufig registrierte sie, wie rings um sie herum das blanke Chaos
losbrach, als die Polizisten, die die Russen bisher mit ihren Waffen in Schach gehalten hatten, die Gelegenheit zu ergreifen versuchten, endlich so etwas wie Widerstand zu leisten; zwei von ihnen versuchten ihre Waffen zu ziehen und erreichten damit nichts anderes, als wertvolle Zeit zu vergeuden, die beiden anderen stürzten sich mit bloßen Händen auf den letzten verbliebenen Gangster. Seine Pumpgun entlud sich mit einem dumpfen Knall in die Decke und überschüttete den Raum mit einem Hagel aus Putz und explodierenden Holzsplittern. Lena stürzte sich mit ausgestreckten Händen auf ihren Gegner, um ihm die Krallen in die Kehle zu schlagen und sie zu zerreißen.
Der Bursche empfing sie mit einem Schlag mit dem Handrücken, der sie benommen gegen die Theke taumeln ließ.
Sie begriff nicht, wie ihr geschah, als der Bursche auch schon heran war, ihr die Faust in den Leib schlug und das Knie hochriss, während sie zusammenbrach. Halb bewusstlos und trotz allem vielmehr überrascht als erschrocken, prallte sie ein zweites Mal gegen die Theke. Lena fiel zu Boden und wurde sofort wieder von grausam starken Händen gepackt und in die Höhe gerissen. Eine wutverzerrte Grimasse tauchte in den Nebeln aus Blut und Benommenheit vor ihren Augen auf, dann traf sie ein Faustschlag in Gesicht, der ihr den Kiefer zertrümmert hätte, wäre sie noch ein normaler Mensch gewesen.
Der Angreifer drückte ihren Kopf zur Seite. Nadelspitze Zähne blitzten auf, gruben sich mit einem lähmenden Schmerz in ihre Halsschlagader - und zogen sich wieder zurück, noch bevor das erste Blut fließen konnte.
»Nein«, sagte Stepan. »So leicht mache ich es dir nicht!«
Und damit schleuderte er sie quer durch den Raum mit solcher Wucht gegen die Wand, dass sie die dünne Gipskartonund Holzkonstruktion einfach durchbrach und in einem Hagel
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