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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie schon wieder getrunken hatte.
    Du hattest es mir versprochen , dachte sie. Aber sie sparte sich nicht nur die Worte, sondern auch einen entsprechend vorwurfsvollen Blick. Wozu?
    »Aber nun haben wir uns ja kennengelernt«, fuhr Holden fort, als sogar er begriff, dass er bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten konnte, ohne eine Antwort zu bekommen. »Dabei wäre es gar nicht nötig gewesen, uns vorzustellen.« Er lachte unecht und wandte sich wieder ihrer Mutter zu. »Kein Wunder, dass deine Tochter ein so schönes Mädchen geworden ist, bei der Mutter.«
    Lenas Mutter machte ein verlegenes Gesicht. »Jetzt übertreibst du, du Charmeur.«
    Sie waren also schon beim Du, dachte Lena. Interessant. Holden verlor keine Zeit.
    »Nicht im Geringsten, meine Liebe.« Holden streckte die Hand aus, an der Lenas Mutter gerade so eifrig herumgewerkelt hatte, griff nach ihren Fingern und begann sie in einer vertrauten Geste zu kneten. »Ob ich wohl ein Glas Wasser haben könnte, meine Liebe?«
    Ihre Mutter machte sich mit einer gezierten Bewegung los
und brauchte drei Versuche, um ihre gut zweieinhalb Zentner von der niedrigen Couch hochzustemmen. Ihre Knie stießen dabei gegen den Tisch, und ein anhaltendes Klirren und Scheppern erklang, weil etliche ihrer Fläschchen und Tiegel ins Wanken gerieten. Ein kleines Glasfläschchen mit einer rosafarbenen Flüssigkeit fiel vom Tisch, rollte über den Teppich und kam unmittelbar vor Holdens Füßen zum Liegen. Er rührte keinen Finger, um es aufzuheben.
    »Ein kühles Bier tut es auch, wenn kein Wasser mehr da ist«, sagte er.
    Lenas Mutter kicherte schon wieder und noch alberner, schob ihre plumpe Gestalt schnaubend um den Tisch herum und ging deutlich dichter an Holden vorbei, als nötig gewesen wäre. Lena fand ihr Benehmen mit jeder Sekunde peinlicher. Wofür hielt sie sich, verdammt noch mal - für einen Teenie bei seinem ersten Rendezvous?
    Ihre Mutter verschwand in der winzigen Küche, und Lena versuchte die Gelegenheit zu nutzen, um in ihr Zimmer zu gehen und diesem Wahnsinn zu entfliehen, indem sie einfach die Tür hinter sich abschloss und sich unter ihre Kopfhörer verkroch. Aber dazu musste sie an Holden vorbei, und er streckte blitzartig den Arm aus und hielt sie am Handgelenk fest. Sein Griff war hart. Noch nicht so fest, dass es wehtat, aber deutlich fester, als nötig gewesen wäre.
    Lena funkelte ihn an. Sie presste die Kiefer aufeinander, um nichts von alledem auszusprechen, was ihr auf der Zunge lag, und kämpfte gegen den Impuls an, ihre Hand loszureißen und ihm mit der anderen das Gesicht zu zerkratzen. Sie hatte Holden einmal - sehr ruhig - erklärt, was ihm passieren würde, wenn er sie anfasste, und bisher hatte er diese Warnung beherzigt. Aber natürlich war ihr klar, dass es nicht ewig gut gehen konnte. Sie war einundzwanzig, hundertmal hübscher, als ihre Mutter es jemals gewesen war, und sogar sie
selbst wusste, dass sie in dem dünnen roten Nichts von Kleid einen atemberaubenden Anblick bieten musste. Vor allem für einen geilen alten Sack wie ihn, der glaubte, sie in der Hand zu haben.
    »Nicht so schnell, Liebes«, sagte er lächelnd. »Wir haben da noch eine Kleinigkeit zu regeln, meinst du nicht?«
    Lena versuchte nun doch, ihre Hand loszureißen, aber er hielt sie nicht nur weiter mit derselben eisernen Kraft fest, sondern drückte sogar noch ein wenig härter zu, so dass es nun wirklich wehzutun begann.
    »Heute ist Mittwoch«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    »In China vielleicht«, antwortete Holden. »Hier bei uns ist Donnerstag. Aber selbst wenn, Liebes. Wir waren schon für gestern verabredet.«
    Lena setzte zu einer Entgegnung an, aber dann machte es deutlich hörbar Klick hinter ihrer Stirn, und sie begriff, dass er recht hatte. Sie hatte sich schlicht und einfach im Wochentag vertan.
    »Das … tut mir leid«, sagte sie zögernd.
    »Und mir erst«, erwiderte Holden. »Ich habe auf dich gewartet, Liebes. Wir waren verabredet, aber du bist nicht gekommen.« Er schüttelte missbilligend den Kopf. »Ist dir eigentlich klar, dass ich meinen ganzen Terminkalender über den Haufen werfen musste, um unsere Verabredung heute nachzuholen?«
    Statt auch nur mit einem Wort darauf zu reagieren, streckte Lena die freie Hand aus und hielt ihm ihren letzten Fünfziger hin. Holden nahm ihn mit spitzen Fingern entgegen - noch immer, ohne ihre Hand loszulassen -, betrachtete ihn mit miserabel

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