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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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nicht interessiert hätte.

    Sie betrieb dieses Geschäft jetzt seit knapp fünf Monaten, die momentan letzte verrückte Idee in einer schier endlosen Reihe verrückter Ideen, die alle eines gemein gehabt hatten: Sie pflegten ausnahmslos in einem Desaster zu enden, angefangen von Tupperware- und Amway- bis hin zu Dessouspartys für Übergewichtige. Keines dieser Unternehmen wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen, hätte irgendjemand anderes als ihre Mutter es in Angriff genommen, bei ihr aber war die Frage nicht ob, sondern wie groß die Katastrophe war, in der es endete.
    Angeblich sollte es ja Menschen geben, denen alles gelang und die alles in Gold verwandelten, was sie berührten. Lena wusste nicht, ob das stimmte. Sie selbst war bislang nie solchen Menschen begegnet; wenn es sie gab, dann verkehrten sie wohl nicht in den gleichen Kreisen. Aber sie kannte sehr wohl jemanden, auf den das genaue Gegenteil zutraf, und dieser Jemand war unglückseligerweise ihre eigene Mutter.
    Dieses Nagelstudio war ein wunderbares Beispiel. Es im Dachgeschoss einer heruntergekommenen Mietskaserne in einer Gegend zu eröffnen, in der Hartz-IV-Familien eindeutig zu den Besserverdienenden gehörten, war schon mutig genug. Es in einer Straße zu tun, in der sie mit nahezu jedem zerstritten war, war schon eher tolldreist. Und es ohne die mindeste Sachkenntnis und lediglich auf der Grundlage eines Buches zu tun, das sie auf irgendeinem obskuren Teleshopping-Sender erstanden hatte, das war …
    Nein, sie wollte das Wort nicht einmal in Gedanken aussprechen. Schließlich handelte es sich noch immer um ihre Mutter.
    Ihre Mutter war nicht allein. Sie hatte tatsächlich eine Kundin da - die zweite oder dritte in ebenso vielen Monaten, wenn sie richtig gezählt hatte -, an deren Fingernägeln sie nicht nur mit der ganzen Vehemenz ihrer gut einhundertdreißig Kilo herumfeilte, sondern das auch so konzentriert, dass sie nicht aufgesehen hatte, als Lena das Zimmer betreten hatte.

    Lena war das nur recht. Ihr war nicht nach Reden zumute - schon gar nicht über ein so weltbewegendes Thema wie Maniküre oder gar eine neue revolutionäre Geschäftsidee -, und so nickte sie den gebeugten Schultern und der sich allmählich ausbildenden Tonsur auf dem strähnigen Schädel ihrer Mutter nur wortlos zu und steuerte die Tür zu dem sechs Quadratmeter großen Verschlag an, in dem sie hauste.
    Ihre Mutter kicherte leise und sagte, ohne aufzublicken: »Du hast mir ja nie gesagt, dass er so ein Netter ist.«
    Lena erstarrte mitten in der Bewegung, schloss kurz die Augen und hoffte allen Ernstes auf ein Wunder; oder wenigstens darauf, dass das alles nur ein Albtraum gewesen war, wenn sie die Augen wieder aufschlug.
    Weder das eine noch das andere geschah.
    Lena wusste nicht, ob es ein Wort für das genaue Gegenteil eines Wunders gab, aber selbst wenn nicht, dann erlebte sie es, als sie sich herumdrehte und die Augen wieder aufmachte.
    Die Kundin ihrer Mutter war keine Kundin, sondern ein Kunde, und wäre sie nicht so aufgewühlt gewesen, dann hätte sie ihn auch erkannt, ohne sein Gesicht sehen zu müssen.
    Es war Holden. Sein rückenlanges Haar war zu einem dünnen Pferdeschwanz zusammengebunden, was seinem ohnehin schmalen Gesicht noch mehr Ähnlichkeit mit dem einer Ratte verlieh, und er trug seine übliche Arbeitskleidung: Lederhose, Motorradstiefel und -jacke und ein schwarzes Heavy-Metal-T-Shirt. Ein Outfit, von dem er behauptete, dass es ihm dabei half, ein besseres Vertrauensverhältnis zu seinen Klienten aufzubauen, von dem Lena allerdings annahm, dass es einfach seinem Charakter entsprach. Seine Kleider waren so schmierig wie der ganze Kerl. Nur dass man sie einfach abstreifen und irgendwo hinlegen und vergessen konnte, was mit Holden leider nicht ganz so einfach war.
    Schließlich war der Kerl ihr Bewährungshelfer.

    »Und ich habe gar nicht gewusst, dass deine Mutter so nett ist«, sagte Holden, indem er seine Hand losmachte. Er drehte sich zu ihr herum und drohte ihr übertrieben mit dem Zeigefinger. »Eigentlich müsste ich dir böse sein, weißt du? Ich dachte, wir wären uns einig, keine Geheimnisse voreinander zu haben. Und da versteckst du deine reizende Mutter die ganze Zeit über vor mir?«
    Lena sagte vorsichtshalber gar nichts dazu, aber ihre Mutter kicherte noch einmal und hob nun doch den Kopf, um sie anzusehen. Ihre Augen hatten einen ganz leichten Glanz, der den meisten anderen wahrscheinlich entgangen wäre, aber Lena

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