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Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
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schüttelte Lena ihre Erstarrung endlich ab und warf sich auf sie. Louise schleuderte sie, ohne sich umzudrehen, mit einer solchen Wucht zurück gegen den Tisch, dass dieser in Stücke brach. Im gleichen Sekundenbruchteil war Lena aber schon wieder auf den Beinen und stürzte sich abermals auf Louise. Diesmal empfing sie einen Schlag in den Unterleib, dass ihr buchstäblich Hören und Sehen vergingen.
    »Übertreib es nicht, Kleines«, sagte Louise kalt. »Sogar meine Geduld kennt nämlich Grenzen.«
    Lena wollte sich hochstemmen, aber Louise setzte ihr den Fuß gegen die Brust und schleuderte sie auf den Rücken.
    »Lass das, verdammt!«
    Hinter ihr kämpfte sich Tom benommen auf alle viere, gab ein seltsam ersticktes Keuchen von sich und umklammerte
Louises Beine mit den Armen, um sie zu Boden zu reißen. Er brachte sie nicht einmal ins Wanken. Louise machte sich mit einer ärgerlichen Bewegung los und versetzte ihm einen Tritt gegen die Schläfe, der ihm sofort das Bewusstsein raubte. Lena hoffte inständig, dass es nur das Bewusstsein war.
    »Bitte, Louise«, wimmerte sie, »lass ihn! Er kann nichts dafür!«
    »Natürlich kann er das!«, erwiderte Louise zornig. »Schon weil es ihn gibt. Aber daran kann man ja was ändern.«
    »Bitte nicht!«, flehte Lena. »Es ist nicht seine Schuld! Er wusste es doch nicht! Ich habe ihn nicht gerufen, bitte glaub mir!«
    »Aber er ist hier, oder?«, sagte Louise. »Schon vergessen, was ich über ihn gesagt habe? Der Junge ist besessen von dir! Er wird niemals aufhören, nach dir zu suchen, solange er am Leben ist.« Sie zuckte die Achseln. »Aber auch das kann man schließlich ändern, oder?«
    »Nein, bitte!«, schluchzte Lena. »Er wird mich nicht länger suchen, das verspreche ich!«
    »Davon bin ich sogar überzeugt«, antwortete Louise mit einem bösen Lächeln, und Lenas Verzweiflung verwandelte sich in etwas unsagbar Schlimmeres.
    »Du verstehst mich nicht!«, schrie sie. »Ich schicke ihn weg! Ich sage ihm, dass er mir nichts bedeutet und dass ich ihn nie wieder sehen will!«
    »Das würdest du tun?«, fragte Louise mit übertrieben gespieltem Erstaunen.
    »Weil es die Wahrheit ist!«, versicherte Lena.
    Sie stand auf, trat einen Schritt auf Louise zu und prallte hastig wieder zurück, als Louise den Kopf drehte und Tom mit einem nachdenklichen Blick maß.
    »Aber ich meine es ernst!«, sagte sie. »Ich rede mit ihm! Ich werde ihm sagen, dass er mir egal ist und verschwinden soll! Es ist nicht nötig, dass du ihn tötest!«

    »Und das wird er dir zweifellos glauben.«
    »Weil es die Wahrheit ist!«, beteuerte Lena. »Bitte, Louise, ich … ich weiß, dass du mir nicht glaubst, aber es ist die Wahrheit! Er bedeutet mir nichts! Ich will nicht, dass du ihn umbringst, aber das ist auch schon alles. Er bedeutet mir nichts!«
    »Seit wann?«, fragte Louise.
    »Seit … seit ich begriffen habe, wen ich wirklich liebe«, antwortete Lena stockend.
    »Und wer sollte das sein?«
    »Du«, sagte Lena.
    Behutsam trat sie einen Schritt auf Louise zu. Louises Augen wurden schmal.
    »Du«, wiederholte Lena. Nervös fuhr sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen und stellte fest, wie ausgetrocknet und spröde sie mit einem Mal waren. »Ich sage die Wahrheit. Ich habe es begriffen, als Charlotte gestorben ist. Ich war nur zu durcheinander. Aber jetzt haben wir doch nur noch uns!«
    Sie schloss Louise in die Arme und küsste sie, scheu und fast ängstlich zuerst, dann immer stürmischer und fordernder.
    »Du bist doch jetzt alles, was ich noch habe! Es gibt doch jetzt nur noch uns, Louise! Bitte! Ich liebe dich! Ich liebe dich! Dich, und wirklich nur dich! Niemanden sonst!«
    Louise ließ ihre stürmischen Küsse und Liebesbezeugungen eine Weile passiv über sich ergehen, doch dann erwiderte sie die Umarmung und die Küsse. Sie nahm ihr Gesicht in beide Hände, und ihre Lippen wurden weich und anschmiegsam und süß. Ihr Atem, der nun in Lenas Lunge strömte, schmeckte berauschender als alles, was sie jemals zuvor gekostet hatte.
    Dann ließ Louise ihr Gesicht los, legte ihr die Hände auf die Schultern, schob sie mit sanfter Gewalt auf Armeslänge von sich und sah ihr fest in die Augen. »Du bist süß, Lena«, sagte sie. »Du bist eine wirklich schlechte Lügnerin, aber du bist
süß.« Lena wollte etwas sagen, aber Louise schüttelte nur den Kopf und legte ihr den ausgestreckten Zeigefinger über die Lippen. »Nicht«, sagte sie. »Du musst nichts sagen. Ich weiß doch schon

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