Wir sind die Nacht
auch Angst vor dir. Frag lieber diesen seltsamen Bewährungshelfer aus. Vielleicht fällt ihm ja doch noch was ein.«
Lummer maß zuerst ihn, dann Lena und dann noch einmal Tom mit einem stummen Blick, stöhnte schließlich resigniert und drehte sich gehorsam zur Tür um. »Aber beeil dich«, murmelte er. »Irgendwann in diesem Jahr würde ich gern noch einmal ein paar Stunden schlafen.«
Tom wartete, bis Lummer die Tür hinter sich geschlossen hatte, sprach aber auch dann nur mit leiser Stimme.
»Du hast deinen Stil geändert«, sagte er. »Und eine neue Frisur. Steht dir. Sind das Extensions?«
Also hatte er sie doch erkannt. Natürlich hatte er das - was hatte sie erwartet? »Wieso hast du mich nicht verraten?«, fragte sie.
»Verraten?« Tom spielte den Verwirrten. »Noch ist es in diesem Land nicht strafbar, ausgeraubt zu werden.«
»Du weißt, was ich meine.« Lena sah sich vergeblich nach etwas um, worauf sie sich setzen konnte, lehnte sich schließlich gegen die Wand neben der Tür und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann wechselte sie ihre Position noch einmal, um
sich direkt gegen die Tür zu lehnen und sie auf diese Weise zu blockieren. Sie war mit einem Mal sehr müde.
»Wozu?«, seufzte Tom. »Meine Kollegen würden sich nur die nächsten drei Monate über mich lustig machen, Lummer und ich hätten mindestens genauso lange mit sinnlosem Schreibkram zu tun, und du würdest deine Bewährung verlieren und für achtzehn Monate einfahren … und alles nur, weil du einem Arschloch, das mit Mädchen handelt, ein paar Kröten gestohlen hast?« Er schüttelte den Kopf. »Nenn mich altmodisch, aber ich finde das nicht gerecht.«
Die Worte ließen ein flüchtiges, aber sehr warmes Gefühl der Dankbarkeit in ihr aufsteigen. Jedenfalls redete sie sich ein, dass es nur Dankbarkeit war.
»Und was tust du dann hier?«
»Zuallererst einmal mache ich mir Sorgen um dich.«
»Wie nett«, sagte Lena spöttisch. »Aber ich kann schon ganz gut auf mich selbst aufpassen. Bin schon ein großes Mädchen, weißt du?«
Tom nickte und sah sie eindeutig besorgt an, aber auch so, als wäre sie nicht nur ein großes Mädchen, sondern auch eines, das ihm ausnehmend gut gefiel.
»Bist du dir da sicher?«, fragte er schließlich. »Lummer und ich sind nicht zufällig hier.«
»Ich dachte mir fast, dass die Soko nicht wegen eines normalen Wohnungseinbruchs anrückt«, erwiderte Lena bissig. »Nicht in einer Gegend wie dieser.«
Tom ignorierte den letzten Satz. »Dein Bewährungshelfer hat die Kollegen von der Schutzpolizei gerufen.«
»Und die euch.«
»Indirekt. Deine Mutter hat erzählt, dass die beiden Kerle russisch gesprochen hätten. Klingelt da was bei dir?«
»Nein«, sagte Lena. Klingeln? Hinter ihrer Stirn heulten ein ganzes Dutzend misstönender Alarmsirenen.
Tom überlegte. Lena spürte den inneren Kampf, den er ausfocht. Schließlich deutete er mit einer Kopfbewegung auf ihren rechten Arm. »Was macht deine Hand?«
»Der geht es gut.« Lena streckte ihm die unversehrte Rechte entgegen. »War nur ein Kratzer. Ist schon verheilt, siehst du?«
Tom guckte nur ungläubig.
»Ich habe gutes Heilfleisch, sagt meine Mutter immer«, fügte sie hinzu.
Tom wirkte plötzlich misstrauisch, und Lena mahnte sich zu größerer Vorsicht. Tom war weder dumm noch blind. Er hatte gesehen, wie tief der Schnitt war, und jetzt war dieser nicht nur geheilt, sondern spurlos verschwunden .
»So hab ich dich übrigens gefunden«, sagte er.
Lena blickte fragend.
»Dein Blut war auf der Mauer und deine Akte im Polizeicomputer. Die Leute glauben aus dem Fernseher, dass eine DNA-Analyse Wochen dauert, aber ich hatte dein File nach ein paar Stunden auf dem Monitor.«
»Und … dein Kollege?«
»Der steht genauso wenig auf Schreibkram wie ich. Keine Sorge, ich hab nichts verraten. Wir sind hinter den richtig bösen Jungs her, nicht hinter kleinen Mädchen … oder auch großen.«
Na ja, sehr viel deutlicher konnte er in einem Moment wie diesem wohl kaum werden, und Lena fühlte sich auch geschmeichelt. Aber da war noch mehr, und dieses mehr erschreckte sie bis ins Mark.
»Und als du die Adresse gehört hast …?«
»Da hab ich zwei und zwei zusammengezählt und bin auf dich gekommen«, sagte Tom lächelnd. »Wir Bullen können so was. Wir sind nämlich clever.«
Er war sogar noch viel mehr. Zuvor war es ihr nicht richtig aufgefallen, aber er war so unvorstellbar … lebendig .
»Du hast nicht zufällig eine Vorstellung
Weitere Kostenlose Bücher