Wir sind die Nacht
vierzig, beginnende Halbglatze und nicht einmal unsympathisch. Ein Dickerchen.
Der andere war Tom.
»Fräulein Bach, nehme ich an?«, sagte Dickerchen und stand auf. »Lena Bach?«
Ohne ihre Antwort abzuwarten, griff er unter sein elegantes Sommerjackett und zog einen in Plastik eingeschweißten
Dienstausweis hervor. »Ich bin Hauptkommissar Lummer, das ist mein Kollege, Kommissar Serner. Fräulein Bach?«
Immerhin brachte sie es fertig, mit einem Nicken zu reagieren, konnte den Blick aber nicht von Toms Gesicht losreißen. Er saß noch immer in der Hocke da und sah zu ihr hoch. Zwar rührte er sich nicht, und auch auf seinen Zügen lag allenfalls ein Ausdruck beruflichen Interesses, aber sie hatte trotzdem das Gefühl, dass er ihr etwas mitteilen wollte. »Fräulein Bach?«, sagte Lummer zum dritten Mal. Es klang etwas ungeduldig.
Lena riss sich von Toms Gesicht los und wandte sich Lummer zu. Was hatte sie schon zu verlieren? Wenn diese beiden Dummköpfe sie tatsächlich verhaften wollten, dann würde sie sich eben in eine Fledermaus verwandeln und wegfliegen, ha, ha, ha.
»Entschuldigung«, murmelte sie. »Ich war nur so … Was ist denn hier passiert?«
»So, wie es aussieht, ist eingebrochen worden«, antwortete Lummer. »Falls man es so nennen kann.«
Sie sah aus den Augenwinkeln, wie sich Tom aufrichtete und die dünnen Plastikhandschuhe abstreifte, die er ebenso wie sein Kollege trug. Unter dem rechten kam ein schmaler Verband zum Vorschein.
»Wenn man es so nennen kann?«, wiederholte sie. »Was soll das heißen?«
»Das soll heißen, dass die Kerle einfach hier reingestürmt sind und alles auf den Kopf gestellt haben«, sagte Holden von der Tür her. »Sie haben deine arme Mutter fast zu Tode erschreckt, ist dir das eigentlich klar?«
»Bitte, Herr Holden«, sagte Lummer. »Wir würden gern allein mit Fräulein Bach sprechen. Sie haben später noch ausreichend Gelegenheit, mit ihr zu reden.«
Holden schnaufte trotzig, zog die Tür dann aber gehorsam hinter sich zu.
Lummer verdrehte mit gespieltem Entsetzen die Augen. »Idiot«, murmelte er.
Tom wirkte noch immer wie unbeteiligt, und Lena fragte sich allmählich, ob er sie etwa nicht erkannte. Was ihr unwahrscheinlich erschien. Immerhin hatte sie ihn sofort erkannt.
Auf der anderen Seite: Ihre erste Begegnung war drei Tage her. Sie hatte jetzt eine andere Frisur und eine andere Haarfarbe, trug völlig andere Kleidung und entsprach überhaupt einem grundsätzlich anderen Typ. Er sah dagegen so aus, als hätte er seitdem nur ein paar Stunden geschlafen.
»Sie wohnen also hier, Fräulein Bach«, fuhr Lummer fort. »Oder haben hier gewohnt.«
»Ja«, antwortete Lena benommen. Ihr Blick wollte immer wieder zum Fenster irren. Sie spürte bereits das erste Grau der Dämmerung, das sich in die Dunkelheit über der Stadt mischte. Ihr blieb nicht mehr allzu viel Zeit. Aber Zeit war unglückseligerweise genau das, was Polizisten bei Vernehmungen am meisten zu haben schienen. »Was ist hier passiert?«
»Ich hatte gehofft, dass Sie uns das sagen können.« Lummer seufzte. »Ihre Mutter und Ihr Bewährungshelfer glauben, dass es sich um einen gewöhnlichen Raubüberfall handelt.«
Und da rückt gleich eine ausgewachsene Soko an?, dachte sie. Ja, ganz bestimmt . »Ein Raubüberfall? Hier? Hier gibt es nichts, wofür sich ein Überfall lohnt.« Sie sah sich demonstrativ um. »Gab es auch schon vorher nicht.«
Lummer war diplomatisch genug, nicht zu sagen, dass er das wohl genauso sah, aber in Toms Augen funkelte es amüsiert. Er schwieg weiterhin.
»Ihre Mutter hat uns erzählt, dass Sie zwei Tage nicht nach Hause gekommen sind«, sagte Lummer.
»War vielleicht mein Glück. Außerdem bin ich volljährig.«
»Aber Sie müssen sich jeden Tag bei Ihrem Bewährungshelfer melden, ist das richtig?«
»Ja«, sagte Lena. »Ich war bei Freunden. Wir haben ein bisschen gefeiert. Ich bin versackt und erst vor einer Stunde oder so wieder wach geworden.«
»Dafür sehen Sie hervorragend aus«, sagte Lummer.
»Sie nicht.« Lena sah nun doch zum Fenster. Die Dämmerung rückte immer schneller näher.
»Danke für das Kompliment«, sagte Lummer verdrießlich, »aber …«
»Lass mich doch mal mit Fräulein Bach reden«, fiel ihm Tom ins Wort. »Mit Lena … Ich darf doch Lena sagen?« Lena nickte, und Tom fuhr mit einem breiten Grinsen an seinen Kollegen gewandt fort: »Sie hat nämlich recht. Du siehst ganz schön beschissen aus. Ich an ihrer Stelle hätte
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