Wir sind doch Schwestern
kaum mal eben ein Schwein schlachten. Ich mache mir große Sorgen.«
»Was tun Sie denn als Politiker dagegen?«, fragte Anna Marias Bruder herausfordernd.
»Wir können im Moment nur an die Besatzungsmächte appellieren. Adenauer steht mit den Westmächten in gutem Kontakt, er wird es schon richten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Briten unser Volk verhungern lassen.«
»Lasst uns bitte nicht über hungernde Menschen reden«, warf Anna Maria ein, »ihr verderbt mir den Appetit.«
»Recht hat sie«, pflichtete Katty ihr bei, »wir sind schließlich hier, um zu feiern. Auf euch!«
Katty konnte einiges an Hochprozentigem vertragen. Wenn sie gut gegessen hatte, dauerte es lange, bis sie sich angeheitert fühlte. Das verschaffte ihr bei den Bauern den nötigen Respekt. An diesem Nachmittag allerdings, als sie nach dem Hochzeitsmahl mit dem Brautpaar zum Tellemannshof zurückfuhr, war sie beduselt. Egal, sagte sie sich, es ist ja jetzt vorbei. Und wenn die beiden auf Hochzeitsreise sind, kann ich alle fünfe gerade sein lassen. Sie hatte längst beschlossen, Heinrichs Wunsch nicht Folge zu leisten. Sie würde nicht mit nach Bad Honnef fahren.
Als sie auf dem Hof eintrafen, dirigierte sie das Brautpaar ins Wohnzimmer. »Bleibt hier sitzen. Ich packe nur schnell Heinrichs Sachen zusammen.«
Nach einer Weile kam Heinrich ins Schlafzimmer.
»Ich muss mich noch umkleiden.«
»Ach so, warte, ich bin gleich fertig.« Katty packte einen bereitgelegten Stapel Hemden in den schweren Lederkoffer. Als sie sich umsah, saß Heinrich ohne Anzugjacke auf dem Bett, er hatte die Hosenträger von den Schultern rutschen lassen.
»Meinst du, das hat seine Richtigkeit?«, zweifelte er.
»Ich bitte dich, du bist doch kein junger Springinsfeld mehr, der Angst vor den Fesseln der Ehe hat«, lachte Katty.
»Hast ganz recht«, erwiderte Heinrich, »es gibt Wichtigeres als eine Ehe.«
Katty schmunzelte. Für sie war alles genau richtig, eine solche Frau hatte sie sich für Heinrich gewünscht, eine, die von seiner großen Leidenschaft, der Politik, gelangweilt war und wenige Ansprüche anmeldete. Sie ging auf Heinrich zu und streckte die Hand nach ihm aus. Sie wusste nicht genau, warum sie zu dieser Geste anhob, aber in dem Moment, als ihre Hand Heinrichs Wange berührte, packte er ihren Arm wild entschlossen und küsste sie mit Nachdruck auf den Mund. Katty gelang es, sich loszumachen. Sie hatte sich erschreckt, ihr Herz raste heftig.
»So nicht!«, sagte sie energisch, drehte sich um und ging zur Tür. Sie war ganz klar im Kopf. »Das darf nie wieder passieren«, ermahnte sie Heinrich.
Als sie das Zimmer verlassen und ihre eigenen Gefühle wieder unter Kontrolle hatte, überlegte sie: Mir darf das nicht passieren, aber vielleicht schadet es nicht, seine Gefühle ein wenig am Köcheln zu halten.
Mit gerötetem Gesicht lief sie über den Flur, als die neue Frau Hegmann ihr entgegenkam.
»Ich will meinem Ehemann beim Umkleiden helfen«, erklärte Anna Maria entschlossen.
»Lass mal, der kommt schon allein zurecht. Ich habe seine Sachen gepackt und ihm Medikamente in seine Kulturtasche gelegt. Komm lieber mit mir ins Wohnzimmer und lass uns noch über die Feier klönen.«
Damit nahm sie Anna Maria bei der Hand und ignorierte deren schwachen Protest.
Der 100. Geburtstag – Sonntag
Lass uns reden!
»Bleib noch einen Moment«, sagte Gertrud, als Katty im Begriff war, die Küche zu verlassen. Gertrud war wohl noch nicht müde und hatte keine Lust, an ihrem Geburtstag allein in der Nacht herumzusitzen. Katty versuchte ihre Stimmung zu ergründen. Vielleicht würde es doch eine Standpauke geben wegen Piets Auftritts, befürchtete sie und versuchte, einem längeren Gespräch aus dem Weg zu gehen.
»Der Tag morgen wird anstrengend genug.«
»Das stimmt, aber ich bin zu aufgeregt, um einzuschlafen. Vernunft hin oder her.«
»Na gut, ein paar Minuten leiste ich dir Gesellschaft, dann muss ich wirklich schlafen. Ich habe morgen noch einiges zu tun.«
Katty war missmutig und fragte sich, welche Ursache das haben könnte. Normalerweise war sie immer für ein Schwätzchen zu haben, egal um welche Uhrzeit. Nur wenn Gertrud mit ihr reden wollte, fühlte sie sich oft müde und angestrengt. Gertrud schien ihre Gedanken erraten zu haben.
»Du hast wohl keine Lust, mit mir zu sprechen?«, fragte sie.
»Doch«, log Katty matt. »Du bist sauer wegen Piet, nicht wahr?«, mutmaßte sie. »Aber Piet hat dich gern und er wollte dir ein ganz
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