Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gesthuysen
Vom Netzwerk:
schlüpfen. »Du weißt genau, dass dieses Telegramm nicht so harmlos ist, wie du tust. Er liebt dich. Ich habe euch bei der Hochzeit beobachtet, alle drei. Er hat mit dem armen Ding kaum ein Wort gewechselt, aber dich hat er angehimmelt. Und du genießt das auch noch. Warum hast du dich überhaupt neben ihn gesetzt? Dein Platz ist nicht an Heinrichs Seite. Dein Platz ist bei den Dienstboten.«
    Katty war empört und ein wenig getroffen. »Ich helfe ihm bei seiner Arbeit. Und damit leiste ich ihm einen Dienst, den seine Ehefrau nicht tun kann. Die ist für andere Dinge zuständig.«
    »Für die anderen Dinge bist du anscheinend auch längst zuständig, zumindest wenn nur ein Körnchen von dem stimmt, was im Dorf getratscht wird.« Bei diesen Worten aus Gertruds Mund verlor Katty die Kontrolle über sich. Sie ging ihre Schwester massiv an, unterstellte ihr, sie sei neidisch auf ihr Leben, eifersüchtig darauf, dass sie glücklich sei, vielleicht sogar rachsüchtig, weil sie für Heinrichs Bruder nicht gut genug, aber sich für eine andere Rolle als die der Ehefrau zu schadegewesen sei. Direkt nach diesem Ausbruch war sie sich schäbig vorgekommen. So heftig hatten sie noch nie gestritten. Aber wenn Gertrud sie jetzt, fast fünfzig Jahre später, fragte, warum sie sich immer missverstanden, dann lag ein Grund vielleicht in diesem unerbittlichen Streit.
    »Verlass endlich den Hof und ein Leben, in dem du nichts zu suchen hast!«, hatte Gertrud sie am Ende angeschrien.
    »Das ist das Leben, das ich mir erarbeitet habe!«, hatte Katty zurückgeschrien. »Es gehört mir. Um keinen Preis der Welt werde ich das aufgeben. Und darf ich dich daran erinnern, dass du selbst mir geraten hast, eine Frau zu suchen, die mir nicht das Wasser reichen kann?«
    Gertrud hatte alle moralische Autorität in die Waagschale geworfen. »Ich habe dir geraten, eine Frau zu suchen, die ausschließlich gesellschaftliche Anerkennung und finanzielle Sicherheit sucht. Dieses Mädchen, deine Schulfreundin, sucht Liebe. Du bist klug genug, um diesen Unterschied zu erkennen. Du hast eine Frau ausgewählt, die du in der Hand hast. Katharina, so habe ich dich nicht erzogen. Du enttäuschst mich maßlos. Was du tust, ist anmaßend und zynisch. Du spielst mit den Gefühlen eines Menschen, das ist eine Hybris, die sich rächen wird.«
    Katty schauderte bis heute, wenn sie daran dachte. Gertruds Drohung hatte etwas von einer düsteren Prophezeiung gehabt, und sie hatte sich gefühlt, als hätte ihre Schwester sie verstoßen. Und nun saßen sie da in der spärlich beleuchteten Küche, ein halbes Jahrhundert später, und Katty hatte Gertruds Frage lange unbeantwortet gelassen. Als sie bemerkte, dass ihre Schwester immer noch wartete, antwortete sie:
    »Ich glaube, wir streiten, weil ich deinen hohen Ansprüchen niemals gerecht werden konnte. Ein Lob, ein bisschen Anerkennung ab und an hätten sicher nicht geschadet.«

    »Ich habe dich oft gelobt, Katty, aber das hast du nicht gehört. Was du willst, ist eine Absolution, und die kann ich dir nicht geben. Aber ich habe immer zu dir gestanden.«
    Damit ist das Gespräch wohl beendet, erkannte Katty, denn Gertrud duldete keine weitere Replik. Sie erhob sich, verließ ohne ein weiteres Wort oder einen Blick die Küche, und Katty blieb allein zurück. Es war wie immer: Ihre Schwester setzte den Punkt, sie war die Rektorin. Aber hatte Gertrud recht, fragte sie sich, wollte sie wirklich eine Absolution? Gertrud hatte ihr moralisches Fehlverhalten vorgeworfen, sie selbst hatte die Intrige und ihre Konsequenzen auf Heinrich abgewälzt. Er war es schließlich gewesen, der Anna Maria geheiratet hatte, obwohl er sie nicht liebte. Heinrich hatte Anna Maria wiederholt zu verstehen gegeben, dass der Platz an seiner Seite von Katty besetzt war. Damit hatte er furchtbare Szenen heraufbeschworen, die schon eingesetzt hatten, kaum dass die Hochzeitsreise beendet gewesen war.
    Die Akte Hegmann gegen Hegmann wird wohl in diesem Leben nicht mehr geschlossen werden, seufzte Katty. Sie löschte das Licht in der Küche, holte den Ordner aus der Wohnzimmerkommode und ging damit in ihr Zimmer.

27. November 1946
Willkommen auf Tellemann
    Anna Maria und Heinrich kamen früher als erwartet zurück. Eigentlich hatte das Brautpaar bis Freitag in Bad Honnef bleiben wollen, aber Katty vermutete, dass Anna Maria Heinrich auf die Nerven gegangen war.
    Sie selbst war Heinrichs Anweisung nicht gefolgt, sondern hatte stattdessen seinem Fahrer am

Weitere Kostenlose Bücher