Wir sind doch Schwestern
bisschen peinlich, aber andererseits: Sie war weit weg von zu Hause und sie würde diese Menschen niemals wiedersehen.
»Und ›unter‹ heißt«, sie überlegte und kramte in ihrem Wortschatz, »›unter‹ heißt sous.«
»Gut, und nun übertragen Sie das auf diese rätselhafte Zeichnung!«, sagte Karl geduldig.
»P-sur-a?«, zweifelte Gertrud. »Oder a-sous-p.« Karl nickte heftig und da verstand Gertrud.
»Ich hab’s! A souper. Venez à souper. Kommen Sie zum Abendessen!«
»Großartig!«, lobte Karl. »Der Rest ist einfach, schauen Sie genau hin:
Gertrud schaute angestrengt in den Sand. »À … ci-sur-sans, ach was, natürlich sans-sous-ci. Venez à souper à Sanssoucis. Kommen Sie zum Abendessen nach Sanssoucis. Das ist großartig.«
»Das fand Voltaire auch. Er kam, nahm eine Stelle als königlicher Kammerherr an, wurde bezahlt, aber gleichzeitig behandelt wie ein besonders erwünschter Gast. Würden Sie und Ihre Freundin mir die Ehre bereiten, heute Abend meine Gäste zu sein? Wir logieren im Hotel Adlon, die Küche dort ist vorzüglich. Ich würde Sie abholen lassen!«
Gertrud war hin- und hergerissen. Eigentlich müsste sie ablehnen, doch Berlin war voller Leichtigkeit und Karls Gesellschaft so angenehm.
»Es wäre mir eine Freude«, sagte sie deshalb, »aber ich muss natürlich zuvor mit meiner Freundin einig sein.«
»Oh, selbstverständlich sind wir uns einig«, sagte diese auch gleich theatralisch und zwinkerte Gertrud dabei so offensichtlich zu, dass sie rot anlief. »Monsieur Cohen und ich verstehen uns prächtig. Nicht wahr, Monsieur, n’est-ce pas?«
»Bien sûr, avec plaisir.« Monsieur hatte sicher keinen Ton verstanden, aber er ahnte wohl, worum es ging, und strahlte.
»Dann lasst uns ins Hotel fahren. Wo dürfen wir Sie absetzen?«
Gertrud und Alma waren in einer Witwenpension in Berlin-Wilmersdorf untergebracht. Viele Offizierswitwen hatten nach dem Krieg einen Teil ihrer Häuser als Fremdenpension hergerichtet, denn nicht jeder Offizier hatte zu Lebzeiten so viel verdient, dass die hinterbliebene Familie davon leben konnte. Und so hatten Alma und Gertrud eine günstige Unterkunft gefunden, die zudem noch ausgesprochen anständig war. Denn die Witwe in Wilmersdorf war eine frühere Schulfreundin von Almas Mutter und damit war gesichert, dass diese Pension auch seriös war.
»Er ist so elegant«, plapperte Alma drauflos, kaum dass
sie in ihrem Zimmer waren.
»Wenn du meinst«, antwortete Gertrud knapp. Auch sie war von Karl entzückt, aber das musste man ja nicht gleich herausposaunen.
»Worüber habt ihr geredet?« Alma ließ nicht locker.
»Ach, so dies und das. Er weiß sehr viel über Voltaire und erzählt wirklich gut.«
»Er ist brillant. Ein toller Mann. Und er hat dich zum Essen eingeladen? Das ist so stilvoll.«
»Nun reiß dich mal zusammen. Er ist ein gebildeter Mensch. Punkt. Und wir werden einen sehr kultivierten Abend verbringen. Danach fahren wir wieder nach Hause, an den Niederrhein. Mehr nicht. Hör auf mit der Schwärmerei. Du tust ja gerade so, als wolltest du den Herrn zum Ehemann nehmen.«
»Ich nicht«, flötete Alma frech und ging ins Bad, um sich zurechtzumachen.
Um halb sieben wurden Gertrud und Alma von einer Droschke abgeholt. Sie hatten sich fein gemacht. Gertrud hatte ihre langen braunen Haare zu einem Knoten gedreht und mit einer Haarnadel festgesteckt. Genau wie Alma trug sie einen langen, schmalen Rock mit Bluse und eine taillierte Kostümjacke. Nach wie vor hatte sie eine mädchenhafte Figur, und dieses Ensemble stand Gertrud besonders gut, hatte Alma entschieden. Man ging schließlich ins berühmte Hotel Adlon.
Als sie dort ankamen, wurden sie von livrierten Angestellten an einen kleinen Tisch zu François und Karl gebracht, die sie herzlich begrüßten und ihnen viele Komplimente machten.
»Wollen wir hier den Aperitif einnehmen und danach in einem Revuetheater etwas essen gehen?«
Alma und Gertrud sahen sich irritiert an. Keine von beiden hatte je das Wort »Aperitif« gehört. Karl erkannte die Situation sofort und erklärte sehr galant:
»Ach, entschuldigen Sie bitte. Wir wollten Ihnen vorschlagen, hier im Adlon anzustoßen, auf einen schönen Abend.Vielleicht mit einem Gläschen Champagner, das soll nämlich, so behaupten die Franzosen, den Appetit anregen.«
Mein Gott, dachte Gertrud, ich habe noch nie Champagner getrunken. Darf man das? Und zu ihrem großen Glück sprach Alma im selben Moment aus, was ihr im Kopf
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