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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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hab' gedacht, jetzt hab ich grad Zeit, Sie aufzusuchen«, sagte ich gemacht naiv. Er erkundigte sich genau über meine derzeitigen Verhältnisse und fing dann wieder ein Gespräch über Literatur an. Er redete und redete, und ich gab ihm überall recht.
    »Also der Professor, von dem ich Ihnen erzählte, ist an der hiesigen Universität... Der verwaltet ein Stipendium. Den müssen Sie kennenlernen«, sagte er einmal.
    Das machte mich belebter. Eine ganz leise Hoffnung kam mir ins Hirn.
    Die Frau brachte das Abendbrot. Ich mußte bleiben. Es gab Haferflocken mit Apfelkompott und grünen Salat. Ich griff gleich zu. »Schmeckt es?« fragte die Frau befriedigt. Ich nickte aufgeräumt und würgte alles mit der größten Überwindung hinunter. Indessen, ich lobte das Essen über alle Maßen. Die Frau gab mir immer wieder etwas auf den Teller und war ganz Feuer und Flamme über einen so gesunden, urwüchsigen Kerl.
    Zuletzt nahmen die zwei wirklich gerührt von mir Abschied, und ich war froh, als ich auf die Straße kam. Zu Hause lag ein Brief von Schorsch von der holländischen Grenze. Auch seine damalige Frau, die verstorbene Malerin Maria Uhla, hatte unterschrieben. Mysteriöse Andeutungen enthielt der Brief, und zuletzt hieß es, sie kämen nach München. Ich freute mich und war zugleich wieder bedrückt. Schon wieder ein Zwischenfall, dachte ich.
    Ganz zerknirscht fragte ich anderntags brieflich bei der Keksfabrik an, ob ich wieder eintreten könnte. Ja, hieß es. Gleich kam ich. Die alten Leute waren noch dort. Sie fragten hin und her. Ich log sie an. Es lief nun wieder alles gleichartig im Kreise. Von früh bis abends, jeden Tag. Nur Sonntagsruhe gab es. Da schlief ich meistens den ganzen Tag.
    Wenn ich so nachdachte, kam es mir vor, als habe ich in dieser Hölle nun einmal angefangen und müßte immer wieder in ihr landen. Spät am Abend, wenn ich heimging, befiel mich oft und oft der Wunsch, einfach blindlings ein Messer in die Hand zu nehmen und alles niederzurennen. Einmal redete mich plötzlich ein Mann unvermittelt an. Ich hob verstört den Kopf und schaute ihn groß an. Es war ein Syndikalist aus der damaligen Gruppe »Tat«. Er ging eine Straße lang mit mir. Wir tauschten alte Erinnerungen aus, dann kam er auf den Krieg und auf die Arbeiterbewegung zu sprechen.
    »Die ganzen Führer haben uns verraten und verkauft!« stieß er bitter heraus. »Solang wir alle feig und faul in unseren Löchern warten, ändert sich nichts ... Die Bluthunde hören nicht auf mit dem Krieg ... Die Arbeiter müssen wieder ganz von vorn anfangen. Jeder Handstrich Freiheit muß erkämpft werden, da hilft alles nichts.« Ich nickte und schwieg.
    »Ob wir jetzt im Feld hingemacht werden oder herinnen krepieren, das ist ganz gleich! ... Wenigstens wissen wir dann, warum wir kaputtgehen«, sagte er abermals. Groll und Verdrossenheit sprachen aus ihm. Er erzählte mir zum erstenmal von den Zusammenkünften der radikalen Sozialisten und forderte mich auf, hinzukommen. Wieder nickte ich. Es überrieselte mich eine Wärme. Irgendeinen dumpfen Entschluß empfand ich. Das war ein Ton von mir. Am andern Tag - erst drei Tage hatte ich gearbeitet - als mich Selma aufwecken wollte, blieb ich liegen.
    »Ich mag nicht mehr!« brüllte ich merkwürdig schroff und drehte mich im Bett um. Sie wollte fragen. Ich gab keine Antwort. Sie fing zu weinen an. Ich rührte mich nicht. »Es muß jetzt anders werden!« stieß ich bissig heraus.
    »So geh doch wenigstens zum Arzt und meld dich krank«, jammerte sie.
    »Ja, mein'twegen, ruf die Keksfabrik an ... Ich geh' dann zum Doktor«, erwiderte ich. Sie ging bedrückt.
    Am Nachmittag ging ich zum Arzt und wurde krankgeschrieben. Kurz nachdem ich in unserm Atelier ankam, klopfte es. Schorsch und Maria Uhla standen vor mir, als ich öffnete. Mir blieben vor Freude und Aufregung fast die Sinne stehen.
    »Mensch! Gott sei Dank! Endlich, endlich Menschen!« rief ich überwältigt und ließ sie herein.
    Menschen brauchte man für den Krieg, ob krumm oder gerade, ganz gleich. Vier- oder fünfmal hatten die Militärbehörden Schorsch schon gemustert, stets war er wegen seines chronischen Gelenkrheumatismus zurückgestellt , aber bei der letzten Untersuchung hatte der Arzt einfach gesagt: »K.v.«
    Daraufhin hatten die zwei Jungverheirateten Leute alles verkauft und ergriffen nur mit je einem vollen Rucksack die Flucht. An der holländischen Grenze wurden sie inhaftiert. Nach Berlin zurück ging nicht mehr, also kamen

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