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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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sie hierher.
    »Wie ein Vogel, der ganz blödsinnig immerfort von einer Zimmerwand zur andern fliegt - so weit sind wir mit diesem Krieg gekommen«, sagte Maria Uhla". Ich blickte scheu auf sie. Wirklich wie ein ratloser Vogel sah sie im Raum herum. Selma kam. Wir tranken Tee und erzählten weiter.
    Erst spät in der Nacht gingen wir auseinander. Schorsch fand kurz darauf ein Atelier in der Stadt, ganz in meiner Nähe. Hier arbeitete er täglich. Draußen in der Vorstadt wohnte er mit seiner Frau. Wir kamen oft zusammen und diskutierten.
    Bei der nächsten hiesigen Musterung wurde mein Freund auf ein halbes Jahr zurückgestellt. Wir waren so erfreut darüber, daß wir uns schwer betranken.

XI
ZEICHEN

    Damals zeigte sich auf den Straßen schon sehr deutlich eine allgemeine Kriegsmüdigkeit. Die russische Märzrevolution war zwar ohne große Spuren vorübergegangen. Es lag etwas in der Luft und in den Köpfen, daß dies da drüben, irgendwo im unbekannten Steppenreich, erst ein Anfang sei. »Sie führen ja noch immer Krieg, die Kerenskis«, sagte man, und das hieß ungefähr soviel wie: »Eine echte Revolution macht Schluß mit dem Kriegführen.« Aber die Sixtusbriefe des Kaisers von Österreich und dann die Friedensschritte der Wiener Regierung wurden eben bekannt. Da hörte die Öffentlichkeit schon eher hin.
    Indessen die große, breite Masse der Unteren lebte in einer mürrischen Trägheit dahin. Die täglichen Reihen an den Lebensmittelläden wurden immer länger. Ausgemergelte Gesichter, zerrupfte Gestalten mit hungerbösen Augen waren darunter. Es war, als belauere der eine den andern, daß ja keiner mehr bekomme. Was einst vielleicht wirklich eine einzige öffentliche Bewegung gewesen war, schien nun zerbröckelt zu sein. Alles war wieder einzeln, ganz und gar einzeln geworden.
    Kein Mensch las mehr die gelben Telegrammanschläge der Frontberichte. Ein Murren ging um. Alles schien ausgelaugt. Es wirkte nichts mehr. Die Lebensmitteldemonstrationen wuchsen sich zu Friedenskundgebungen aus. Siegen oder Nichtsiegen, Heldentaten, und Schlachten, Kaiserworte, Hindenburg und Zweiundvierziger-Mörser, das alles war mit einem Male nicht mehr wichtig.
    »Noja, solln's nur so fortsiegen, bis wir ganz und gar im Dreck drinnen sitzen!« brummten die Leute, und dann ging das Erzählen an. »Überhaupts! ... Wenn's schon in einer Tour siegen und siegen und Beute machen? ... Warum gibt's denn nachher alleweil nichts wie Kaninchenleberkäs, Dotschn und das g'stinkerte Fischzeug?! ... Dös ist schon dös rechte Siegen!
    Schwindl ist's, sonst nichts! Krampf ist's!« räsonierte ein Mann auf der Straße, und alle nickten. Besonders erbost war man auf das schlechte Bier, auf den König und die Preußen. »Der König ist der größte Schieber!« schimpfte eine Frau im Milchladen. »Der liefert die Milch von seinen Gütern alle ins Norddeutsche 'nauf, weil er da mehrer kriegt ... Der Geldbeutl spielt bei den hohen Herren die größte Rollen ... Ob wir verrecken, ist ihnen sauwurscht.«
    »Schuld ist keine andere wie seine Alte, bloß die!« meinte eine andere in bezug auf die Königin. »Die hat ja sowieso die Hosen an! ... Die regiert doch den ganzen Saustall, und er, der läppert Loitl (Depp) sagt zu allem ja und amen ... »Er ist bloß da, daß er auch da ist ...«
    Ähnliches konnte man jeden Tag hören. Die haarsträubendsten Gerüchte gingen von Ohr zu Ohr. Von ganzen Armeen Geschlechtskranker, von versteckten Gasverletzten und Verstümmelten hörte man was.
    Der Hunger drang gewissermaßen auch in die Bezirke der Wohlhäbigeren, wurde Losungswort an jedem Biertisch, wurde Gespenst, unsichtbar, aber überall fühlbar. Dabei hatten verhältnismäßig große Volksteile gerade in München noch immer Dinge, die man in Norddeutschland längst nicht mehr kannte. Jeder hier hamsterte, soviel er nur konnte. Wahre Pilgerzüge durchwanderten die Dörfer. Im Schleichhandel war alles zu haben, und Deserteure waren nichts Ungewöhnliches mehr. Ich las die Zeitungen wieder. Die Politik interessierte mich jetzt viel mehr. Die ersten Meutereien der Hochseeflotte wurden ruchbar.
    »Jetzt geht die Revolution an!« sagte ich romantisch begeistert zu Schorsch. Dann erzählte ich ihm von den Zusammenkünften der radikalen Sozialisten.
    »Die Deutschen machen nie eine Revolution, und überall sind Spitzel«, meinte mein Freund.
    »Ach was, Spitzel! Wenn einfach alle losgehen - so viel Zuchthäuser haben die ja gar nicht, um die Rebellischen alle

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