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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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einzusperren!« erwiderte ich.
    An diesem Abend machte ich mich auf den Weg zu dem Versammlungslokal, das mir der Syndikalist genannt hatte. So im Dahingehen dachte ich über mein ganzes Leben seit der Militärentlassung nach. Ich fand nichts Helles und Schönes in diesem Rückblick. Langsam geriet ich in eine Spannung. Erbitterung und Wut kamen und wurden zuletzt eine einzige unbestimmte Rachsucht. Das ist ja alles dummes Zeug, Friede und Brot und Freiheit!, flog durch mich. Einfach losgehen und abrechnen mit allen, die dir jemals wehe getan haben im Leben. »Nieder!« brummte ich zähneknirschend und fühlte den Schweiß auf meinem ganzen Körper: »Einfach alles nieder!«
    Entschlossen trat ich in die Wirtschaft. In der Meinung, solche Versammlungen müßten geheim und womöglich unter einem xbeliebigen Decknamen abgehalten werden, fragte ich vorsichtig den Wirt, der am Ofentisch mit einigen Gästen gemütlich Tarock spielte, und war erstaunt, als er ohne weiteres sehr laut sagte: »Die Unabhängigen sind im Nebenzimmer. Hat schon angefangen.« Das kühlte mich schon wieder ein wenig ab. Diese Revolutionäre waren zu offen und schienen ein wenig harmlos zu sein.
    Rasch trat ich auf die Bretterwand zu, die das Nebenzimmer von der Wirtsstube trennte, und als ich öffnete hoben sich an verschiedenen Tischen Köpfe. Man musterte mich ohne Mißtrauen. Einige bekannte Gesichter nickten mir grüßend zu. Syndikalisten und Leute aus der einstmaligen Gruppe »Tat« waren es, Freidenker und einige Intellektuelle, ziemlich viel Arbeiterfrauen und vereinzelte Soldaten sah ich. Unerregt saß alles da und blickte auf einen Tisch vorne, hinter dem ein nicht sehr großer Mann mit wallendem grauem Haupthaar, einem ebensolchen Schnurr- und Spitzbart stand und eine Rede hielt. Einen Kneifer trug er, hinter dem sehr bewegliche kleine Augen saßen. Hin und wieder unterstrich er irgendeinen Satz mit einer kurzen Armbewegung oder streckte den Zeigefinger wie ein Schullehrer in die rauchige Luft. Er hatte eine ziemlich tonlose, etwas kratzende Stimme, sprach aber sehr flüssig. Seine Kleidung war lässig, und alles an ihm machte den Eindruck von einem pensionierten Schulrat oder Professor. Ich dachte nach und erinnerte mich an eine illustrierte Geschichte der deutschen Revolution von 1848. Da waren auch so ähnliche Gestalten abgebildet.
    »Wer ist denn der Redner?« erkundigte ich mich leise bei meinem Nebenmann.
    »Der Eisner«, war die Antwort. Ich suchte in meinem Gedächtnis, ging alle Revolutionäre und Bekannten aus meiner Anarchistenzeit durch, nein, ich mußte mich geirrt haben. Liebknecht, Bebel, Rosa Luxemburg, Landauer, Mühsam, die gehörten zu den Radikalen, aber Eisner? Wo war ich denn hingeraten? Schon wurde ich wieder mißtrauisch. Ich hörte deutlich hin. Doch - der Mann sprach sehr revolutionär.
    »Hört! Hört! Sehr richtig!« sagten da und dort Leute. Der Mann hob die Stimme und rief mit bewegtem Oberkörper: »Neunzehnhundertvierzehn hat die Sozialdemokratie Deutschlands versagt. Das Proletariat wurde schändlich, erbärmlich verraten von seinen Führern. Das Blutbad begann. Jetzt aber zeigen sich die ersten Zeichen des Erwachens! Alle Drohungen, alles, was man so ausgiebig benützt, um jedes revolutionäre Wollen zu unterdrücken. Kriegsgesetze, Einkerkerungen, Füsilierungen und alle sonstigen Verordnungen werden diesen Willen der Massen nicht mehr aufhalten, nicht mehr ausrotten können! Die Herren von der Obersten Heeresleitung und die weisen Richter am grünen Tisch der Reichskanzlei irren, wenn sie annehmen, die überall aufflackernden Meutereien, die Streiks und Demonstrationen des Proletariats seien nur eine Bewegung für den Frieden allein. Nicht um eine bloße Gegenbewegung, Genossen und Genossinnen, handelt es sich mehr - es handelt sich, darüber müssen wir uns alle klarwerden, um eine Fortbewegung in die Revolution hinein!«
    Der Mann wischte sich die nasse Stirn ab. Beifall erscholl von allen Seiten. Ich lebte auf.
    »Expropriation!« brüllte ein Syndikalist aus irgendeiner Ecke ganz unvermittelt. »Sabotage in allen Betrieben!« sekundierte ein anderer.
    »Jawohl! Sehr richtig!« erscholl es allgemein. Die Fremdwörter ärgerten mich.
    »Den Befehl verweigern beim Militär! Einfach nicht mehr mitmachen!« rief ich noch etwas unsicher und erntete sofort Beifall. Man sah mich vertrauenerweckend an. Ich war gerührt glücklich. Eisner hatte sich gesetzt. Ein Stimmendurcheinander entstand, dann

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