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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Dichter kann man nicht werden ... Man ist einer«, sagte der Professor wieder herzlich und schaute mir in die Augen, »Sie sind einer, das hab' ich gleich erkannt, wie ich Ihre ersten Gedichte gelesen hab'... Sie sind ja noch so jung ... Da wird sehr viel noch ...«
    Ich glühte förmlich und schwankte zwischen Weinen und Aufjubeln. Aber ich nahm meine ganze Beherrschung zusammen und sagte mit leisem Zittern: »Ja ... hoffentlich mach' ich alles zu Ihrer Befriedigung, Herr Professor ...«
    Ich war sehr froh, daß ich die Rede so schön herausgebracht hatte. Doch der Professor lächelte und meinte lebhaft abwehrend: »Nein - nein, um Gottes willen! Nein, lassen Sie sich ja nicht beeinflussen, Herr Graf! ... Nein, das dürfen Sie auf keinen Fall, sonst schade ich Ihnen ja ...«
    »Haj-jaja-ja, da-ankschön, Herr Professor ... Besten Dank«, stotterte ich wieder und wir drückten uns die Hände.
    Ich schlenderte sorglos durch die trüben, schon nachtnebeligen Straßen. Ganz frei atmete ich. Aber es dauerte bloß kurze Zeit. »Herrgott, ein Drama! Ein Drama?!« murmelte ich plötzlich halblaut und wurde schon wieder unruhig. Sofort kaufte ich zwei Zeitungen, um in den Gerichtsnachrichten vielleicht einen tragischen Fall herauszufinden. Aber es fand sich nichts Brauchbares. Ich war buchstäblich ärgerlich, daß so wenig geschah auf der Welt. In den nächsten Tagen suchte ich überall nach einem Dramenstoff und wurde förmlich verzweifelt, weil sich alles so schwer anließ. Ich hatte mir fest vorgenommen, meine Aufgabe gut zu machen. Endlich fielen mir wieder die Diskussionsabende der Unabhängigen ein. Ah, dachte ich, da kannst du sicher was rausholen! Das ist sehr möglich, sicher möglich. Ich suchte also nach dieser Richtung.
    Manchmal, wenn ich mir meine Dummheiten, mein Mißgeschick und das ganze Durcheinander in meinem Innern vergegenwärtigte, überkam mich ein niederdrückender Unmut. Allein und ungestört wollte ich sein, aber alles stürzte sich jede Stunde, jede Minute förmlich zerreißend auf mich. Mitunter aber fielen mir wie von ungefähr die Worte des Professors ein, und laut sagte ich sie vor mich hin.
    »Dichter kann man nicht werden! Man ist einer! Sie sind einer, Herr Graf!«

XII
DUMPFE KRISE

    Ich wollte ruhig werden, alles Vergangene und Gegenwärtige wegschicken, mich hinsetzen und dichten. Ich wollte die Menschen um mich herum übergehen, gewissermaßen den Gang der Welt seitlich liegen lassen, an nichts mehr teilnehmen und unberührt von den Ereignissen mein Leben ausschöpfen. Ja, ich wollte ein Dichter werden.
    Einer hatte gesagt, daß ich einer sei. Wenn dem schon so war, dann mußte es für meine Handlungen nur das Maß geben, das ich an sie legte.
    Jeder Mensch begreift stets nur zu seinen Gunsten. Als mir damals der marxistische Satz »Der Mensch ist ein Produkt der Gesellschaft« solchermaßen klargeworden war, erfüllte mich diese beinahe einem Freispruch gleichkommende Erkenntnis zeitweise mit hemmungsloser Freiheit. Jetzt war es um kein Haar anders. Ganz konkret, ganz persönlich auf mich bezogen, ganz zu meinen Gunsten stellte ich jene schier unwiderlegliche Lossagung aus Stirners Einzigem und seinem Eigentum vor mein gefaßtes Beginnen: »Was soll nicht alles meine Sache sein! Vor allem die gute Sache, dann die Sache Gottes, die Sache der Menschheit, der Wahrheit, der Freiheit, der Humanität, der Gerechtigkeit; ferner die Sache meines Volkes, meines Fürsten, meines Vaterlandes; endlich gar die Sache des Geistes und tausend andere Sachen. Nur meine Sache soll niemals meine Sache sein!«
    Ich geriet wie von selbst in eine verbissene Abwehr gegen alles. Was ging mich unser Elend an? Ob Selma ein Kind erwartete und wie alles weiterginge! Was kümmerten mich Krieg und Revolution! Was hatte das alles mit mir zu tun?!
    Ich schrieb Gedichte. Ganz für mich war ich zeitweilig. Und war glücklich über einen Klang oder einen Satz.
    Nur - man durfte nicht aus dem Atelier gehen und an nichts denken. Das war nicht durchzuführen. Kaum aber ging ich auf der Straße, so fielen auch schon die tausend Erregungen über mich her. Es half nichts, man wurde in sie verstrickt.
    Es war schon soweit gekommen jetzt, daß ich ging, wenn Selma heimkam. Ich suchte die Versammlungen der Unabhängigen auf. Dort ging es jetzt viel bewegter her. Alles hatte sich zusammengefunden, Arbeiter, Deserteure, pazifistische Dichter und ungeduldige Frauen, Parteimenschen und Gefühlsrebellen.
    In der Straßenluft lag

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