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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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    Komisch, auf einmal war es, als dränge von ganz fern her durch diese dicken Mauern und durch die vergitterten Fenster ein Brausen, verschwommene Laute und das Trommeln vom stürmenden Tausendschritt einer ungeheuren Masse auf den Straßen. Ich horchte angestrengter. Jetzt stoßen sie vielleicht zusammen mit der Polizei, dachte ich, jetzt hagelt es Pflastersteine, jetzt geht der Kampf an, ach, sie werden nicht mehr aufzuhalten sein, sie werden Siegen, siegen! Ganz heiß war mir geworden. Es wogte auf und ab in mir. Da hörte ich wieder ein Türaufriegeln, brummende Worte und Schritte. Ich drehte mich unwillkürlich um und drückte mein Auge an das Guckloch, das sich in der Türe befand. Aber ich sah nichts. Anscheinend war draußen ein Deckel auf dem Loch. Nur hören konnte ich.
    »Einzelhaft«, sagte die Schutzmannsstimme wieder. Ein Türzuriegeln, Schritte und einige Worte. Mir wurde leichter. Wie durch die Luft empfand ich, daß einer meiner Freunde im gleichen Gang in eine Einzelzelle gebracht worden war. Aller Berechnung nach mußte die Zelle sich schräg der meinen gegenüber befinden. Sich mit Klopfen zu verständigen, das ging nicht. Es mußte ein anderes Mittel gefunden werden. Ich dachte scharf nach.
    Ja! - Jetzt fiel mir wieder ein: Mit Pegu war ich einmal - überhaupt das einzige Mal in meinem ganzen Leben - in der Oper Carmen gewesen. Und von da ab galt die Melodie »Auf in den Kampf« als unser Signal. Ich fing leise und schüchtern zu pfeifen an, setzte aus, fing etwas lauter an und da! Horch! Da kam es schräg herüber: »Auf in den Kampf!«
    »Auf in den Kampf!« pfiff ich belebter. »Auf in den Kampf!« antwortete es freudiger, und wie aus einer tiefen Grotte kommend, rief Pegu: »Oskar?!«
»Pegu, bist es du?!« schrie ich jubelnd.
»Ja, juhu!« kam es zurück.
»Juhu, wo bist du denn?« fragte ich.
»Zelle fünf, in deinem Gang!«
    »Und ich auf zwei, juhu, haut schon!« schrie ich ungehemmt. »Wo ist denn Schorsch?«
    »Der muß oben sein«, antwortete Pegu ebenso und setzte hinzu: »Du Oskar! ... Sie wissen schon alles.«
»Sei still!« schrie ich hastig. »Red nichts davon!«
    Er schwieg. Nur ab und zu pfiffen wir einander leise. Ich ging aufgeweckt in meiner Zelle auf und ab. Jetzt erst sah ich sie mir genauer an. Sie war ziemlich hoch und mit graugrüner Ölfarbe ausgestrichen. In der Mitte der Decke brannte eine elektrische Lampe, die in die Mauer eingelassen war. An der rechten Wand stand eine aufklappbare hölzerne Pritsche und eine weiße Wolldecke lag drauf. Daneben, am Kopfende, stand das Wasserklosett. Sehr hoch über dem Bett war ein kleines, längliches, mit schweren Eisenstäben vergittertes Fenster, das halb offen nach einwärts gesenkt war. Auf der Pritsche stehend, konnte ich es gerade mit den Händen erreichen, aber die Mauer war glatt und das Gesimse schief, man rutschte ab, und die Vergitterung war draußen angebracht. Ich stieg auf das etwas höhere Klosett und konnte ein Stück schwarze Nacht sehen. Eine feuchte Kälte rann durch die Öffnung und durch die Dampfheizung begannen die Wände zu schwitzen. Das Aufundabgehen lohnte sich nicht recht, denn man konnte nur sechs Schritte der Länge und vier der Breite nach machen.
    Eine Weile pfiff ich zum Fenster hinaus, um vielleicht doch noch von Schorsch ein Lebenszeichen zu erhalten, aber vergebens. Ich verschob es auf morgen, stieg wieder von der Pritsche herab und beschäftigte mich wieder mit meiner neuen Umgebung. Jetzt hatte ich also alles gesehen. Und wie das wohl meistens passiert, wenn man in etwas Neues und Fremdes gerät - sei's auch noch so spärlich und belanglos -, man sucht sich das Interessanteste heraus und vertut die Zeit damit. Hier - auf Ungewisse Zeit in eine höchst langweilige Lage gebracht - war das entschieden Interessanteste das Wasserklosett. Ich setzte mich erst einmal auf den Deckel. Das war ganz nett. Dann stand ich auf, weil kein Wasserzieher zu sehen war, und untersuchte den Mechanismus. Ich öffnete den Deckel und schloß ihn wieder. Ja so, hm! Jetzt fing es zu rauschen an, das Wasser lief. Das war sehr schön. Es bot stundenlange Unterhaltung. Ich hob also den Deckel und klappte ihn abermals zu. Es funktionierte ausgezeichnet. Ich hob ihn wieder, rascher und schneller, zuletzt wie der Teufel. Bloß dumm war's, daß man das Wasser nicht laufen sah.
    Als ich jetzt wieder den Deckel zuklappte, hörte ich unerwartet Schlüsselgeknirsch in der Tür und schrak zusammen. Zwei Wärter tauchten

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