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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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plärrte ich und richtete mich schwankend auf. »Was geht uns die ganze Scheiße an! ... Die Korruption marschiert! ... Schnaps her! ... Alles muß korrumpiert werden!«
    Erst in der nächsten Frühe kam ich heim. Alles war verwüstet an mir. Ich fuhr Auto, knüpfte immer neue Geschäftsbeziehungen an, bediente rasch und gut, und mein Kundenkreis erweiterte sich täglich.
    Mit dem Holländer wurde ich gut Freund und war sehr oft bei ihm zu Gast. Da fraß, soff und tobte man. Eine Menge kriecherischer Künstler und unsicherer Existenzen umgaben den Mann ständig. Alles, was er tat, wurde speichelleckerisch angehimmelt. Tage und Nächte hindurch wurde gezecht und gefressen. So hatte ich mir als Bub immer das lasterhafte Rom vorgestellt, von dem Pfarrer und Lehrer erzählten. Ich war selber ein Römer und gefiel mir sehr gut als solcher.
    Eine versumpfte Gleichgültigkeit war allmählich über mich gekommen. Ab und zu traf ich den Professor oder Roten-KreuzMann und log ihnen große, dichterische Pläne vor. Scheinheilig erging ich mich mit ihnen über die große, ernste Zeit.
    »Was der Herr zu hören wünscht, soll er hören«, war meine Devise. So glitt die Zeit dahin.

XVI
SCHLIESSLICH ...

    Mit dir geht's abwärts«, sagte einmal Maria Uhla zu mir und sah mich offen an, »du bist gar nichts mehr.«
    Ich schnitt eine peinliche Miene und versuchte, ihre Behauptungen durch zynische Gegenbemerkungen ins Lächerliche zu ziehen. Sie ließ sich nicht beirren. »Was hast du eigentlich vor?« fragte sie geradezu.
    »Ich? ... Nichts, gar nichts! ... Gut zu fressen, viel zu saufen und haufenweis Geld zu verdienen«, erwiderte ich plump.
    »Du lügst dich ja selber an!« fiel sie mir ins Wort und ließ mich nicht aus den Augen. »Alles, was du treibst, machst du bloß, weil du Angst vor dir selber hast! ... Du machst Schleichhandel und treibst Geld herbei, damit Selma beruhigt ist. Du säufst, weil du nicht nachdenken willst. Du lügst deinen Professor an, weil du ganz genau weißt, daß er ein reinlicherer Mensch ist wie du. Du willst dich mit keinem aussprechen und machst gleich immer dumme Witze, weil sonst deine ganz Kläglichkeit herauskommt.« Sie holte Atem und setzte in anderem Ton hinzu: »Und du bist der unglücklichste Mensch, der herumläuft.«
    »Das kann schon sein«, murmelte ich getroffen, bog aber gleich wieder ins Ordinäre ab. »Aber es geht mir sehr gut dabei! ... Für wen soll ich ehrlich sein, für wen soll ich mich einsetzen ... Jeden Tag kann man wieder eingezogen werden und sich totschießen lassen für nichts und wieder nichts!«
    Sie wartete ein wenig. »Glaubst du vielleicht, ich möchte mit dir tauschen? ... Schorsch und ich möchten keinen Tag so leben wie du ... Und uns geht's doch gewiß dreckig«, stellte sie mich wieder zur Rede.
    Ich zuckte die Achseln und schnaufte schwer. »Du wirfst ja doch eines Tages alles hin und vergräbst dich«, sagte sie abermals. »Das kann schon sein«, gab ich wiederum zurück. Schorsch kam aus der Stadt. Wir tranken Tee und unterhielten uns über die Ereignisse. Schauerlich hatten die Kriegsgerichte nach dem Januarstreik gewütet. Brutal war verurteilt worden. Die Zuchthäuser waren voll von Rebellen. Alles Aufrührerische schien völlig ausgerottet. Die Front brauchte Soldaten. Selbst die Untauglichsten wurden abermals ausgemustert und ins Feld geschickt. Die begonnene Frühjahrsoffensive tobte mit aller Macht im Westen, Tanks und Giftgase arbeiteten furchtbarer als je. Auf einmal schwankte der Angriff und brach zusammen. Die Zeitungen brachten gewundene Berichte. Allmählich aber sickerten die beunruhigendsten Nachrichten durch.
    »Hoffnungslos! Nur Attentate könnten noch helfen«, sagte ich. Bedrückt gingen wir auseinander.
    »Ich such' mir doch wieder eine Arbeit jetzt«, sagte ich zu Selma. »Ja, oder schreib' doch was und schick's ein«, meinte sie. Ich brummte irgend etwas hin.
    »Oder such' dir doch eine Bürostelle«, sagte sie abermals. Ich nickte wieder.
    Eine Kunstgewerblerin hatte mir vor einigen Tagen gesagt, in den Ausgabestellen für Kohlenmarken suche man aushilfsweise Schreibkräfte. Ich meldete mich und wurde angestellt. Es war eine sitzende Beschäftigung. Den ganzen Tag wiederholten sich die gleichen Fragen und Antworten: »Sind Sie Aftermieter? Haben Sie eine eigene Wohnung? Wie viele Zimmer? ... Nein, Büroräume gehören zu Gewerbe ... Ja, auf zwei Zentner haben Sie Anspruch ...« usw.
    Nach vier Wochen war der Dienst zu Ende. Jetzt war

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