Wir sind Gefangene
der Schleichhandel schon ganz offen. Nur hatten die Preise bereits eine phantastische Höhe erreicht, aber in jedem Laden konnte man heimlich Butter, Schmalz, Eier und Fleisch beziehen.
Mein Lieferant traf mich auf der Straße, schoß auf mich zu und zog mich in seine Wohnung.
»Mensch, was ist denn mit dir? Was hast du denn, daß du auf einmal nichts mehr brauchst? Ist meine Ware nicht gut ... Was machst du denn bloß für ein Gesicht?« erkundigte er sich besorgt und goß mir Kognak ein. Ich schüttelte den Kopf. Das Reden war mir zuwider. Er drang weiter in mich. Ich murrte über den Krieg.
»Wir führen den Krieg nicht - wir verlieren ihn auch nicht«, sagte er. Er goß mir wieder Kognak ein. Ich hob den Kopf und sagte: »Weißt du was? ... Mir graust vor allem.«
Der Mann war gerührt, stellte sich groß vor mich hin und klopfte mir auf die Schultern, als wolle er mich wieder aufrichten. Und treuherzig rief er: »Oskar! ... Ich will dir was sagen ... Du kennst mich! Ich mach' dir keinen Schmus vor ... Oskar! ... Deck' dich mit Geld ein, es kommen lausige Zeiten! ... Geld ist die Welt! Wo's herkommt, kann uns doch egal sein!«
Ich sagte nichts darauf und stürzte einen Kognak nach dem andern hinunter. Er zeigte mir seine Bestände. Er war unglücklich über mich. Wir hockten lange zusammen und betranken uns wieder. In meinem stumpfen Hirn kribbelte es in einem fort: Was denn? Was denn? Es war ja alles egal! Ganz gleichgültig! Alles unsinnig, alles dumm! Er hatte ja recht, der Mann! Geld ist die Welt! Geld, nichts als Geld! Ich schnaufte wie ein Roß und trank weiter. Ich rülpste, und es würgte in meinem Magen.
»Drum Brüder stoßt die Gläser an! Es le-e-ebe der Reservemann!« sang der Barmixer heiser, schwankte, glotzte mich mit glasigen Augen an und wiederholte abermals:
»Dru-hum, Brü-üüder stoo-ßt die Glä-häser an! E-es le-e-ebe der Re-e-e-servemann, d-de-er treu gedient ha-ha -a-hat sei-ei-eine Zeit - Ha, Oskar, prost! Ha, Scheiße! ... Sauf, Mensch! Sauf!... Der Re-eservemann —!« - Ich erhob mich. »Ja«, sagte ich, »ich handle wieder, Scheiße!« Und tat's auch. Aber der ganze Elan war gewissermaßen weg. Ein gleichgültiger Händler war ich geworden. Gelang ein Geschäft, war's gut, gelang es nicht, war's auch gut. Mit Schorsch traf ich einmal Hobrecker auf der Straße. Sein Vermögen war zerronnen. Er war wieder arm geworden, oder, wie er sich ausdrückte: »Es wickelte sich wieder schiefer.«
Wir zechten mit ihm bis tief in die Nacht, und er nahm uns noch in sein Hotel mit.
Rotwein und kalte Platte ließ er auftischen. Er bekam auch hier alles wie überall. Wir tranken und aßen und wurden lustig.
»Mensch, Oskar! Ich sage dir, du bist ein Grünschnabel! ... Augenblicklich sitze ich in der Tinte, aber in einigen Tagen habe ich wieder Tausende ... Da kannst du mal kommen«, sagte Hobrecker. Er redete von großen, geheimnisvollen Bildergeschäften, von einer Verbindung mit ukrainischen Ölquellen-Ausbeutern und begeisterte sich selber an diesen Phantasien. Er erzählte weitschweifig und drastisch von seinen Liebesabenteuern.
»Krieg! Was heißt Krieg? ... Willy Hobrecker hat bald einen Sitz in der Großindustrie!« rief er weinheiser. Ich sah ihn an. Wie er dastand, wieder in seinem zerschlissenen braunen Anzug, in ramponierten Lackschuhen, wie er einen Packen Versatzzettel herauszog und ausgelassen heiter aufzählte: »Frackanzug, Smoking, zwei Schiffskoffer, ein goldenes Uhrband, eine goldene Taschenuhr, Straßenanzug, Paletot, Ulster, Zylinder, Bücher, ein Dutzend Hemden, vierzehn Paar Schuhe, zwei goldene Etuis, drei Spazierstöcke mit Elfenbein- oder Silbergriff«, und stürzend herauslachte: »Mein Vermögen liegt eingemottet und gut verwahrt!« das war überwältigend.
Als wir von ihm gingen, war schon grauer Morgen. Schorsch hatte eine halbausgetrunkene Flasche Burgunder mitgenommen und sagte in einem fort: »Das bringe ich der Maria ... Das wird sie freuen ... Das gibt Blut.« Ich stapfte heim durch die öden Straßen und dachte unablässig: Eigentlich lebt nur der richtig ... Der hats schön ... wie die Lilien auf dem Feld.
Selma machte sich bereits für das Geschäft fertig und sah mich vorwurfsvoll an.
»Ich schiebe wieder ... Du brauchst bald nimmer ins Büro«, warf ich hin.
Zwei Tage später las ich zufällig in der Zeitung, daß ein Lehramtskandidat Wilhelm Hobrecker aus Remscheid wegen Bilder- und Scheckfälschungen verhaftet worden sei. Später verurteilte
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