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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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man ihn zu mehreren Jahren Gefängnis. Seitdem habe ich ihn völlig aus den Augen verloren und nie wieder etwas gehört von ihm.
    Maria Uhla hatte bereits einen Knaben geboren. Während sie im Mütterheim lag, schreinerte Schorsch aus dünnen Brettern spärliches Mobiliar zusammen, und an einem Tag fuhren wir mit Handkarren die Habe von Sendung nach Schwabing, wo mein Freund nach langem Suchen ein Atelier gefunden hatte. Als ich an diesem Abend heimkam, lag Selma auf dem Diwan und wand sich vor Schmerzen. »Es muß dieser Tage angehen«, stöhnte sie. Ich lief zum Arzt, holte die Hebamme und legte die Gebärende ins Bett. Ich ging im Atelier nebenan unablässig auf und ab, ließ ständig Wasser auf dem Gasapparat kochen und war der ab und zu herauskommenden Hebamme behilflich. Schließlich aber mußte doch das Sanitätsauto kommen. In der Klinik gebar Selma ein Mädchen. Ich lief herum und machte Geschäfte. Erst am andern Tag besuchte ich Mutter und Kind. Verlegen spielte ich den hocherfreuten Vater.
    Das auch noch! Noch eine Kette mehr! dachte ich auf dem Heimweg. Ich entschloß mich, möglichst viel zu verdienen, um eine große Wohnung mieten zu können. Ich zerrannte wieder die Tage mit Schleichwaren und hatte für nichts Zeit. Selma war nun den ganzen Tag um mich. Das Kind schrie und strampelte. Ich wagte es kaum anzusehen, ich berührte es nur nach schwerer Überwindung, denn ich hatte Angst, ihm weh zu tun. Seit meiner frühesten Jugend machen mich hilflose Kreaturen selber hilflos. Ja, ich fürchte sie fast. »Gehst du schon wieder fort! Bleib' doch da«, sagte Selma fast jeden Abend.
    »Ich muß Geschäfte machen ... Wir müssen aus dem Dreck heraus«, redete ich mich hinaus. Erst wenn ich auf der Straße war, atmete ich auf. In die Dichtelei oder in den Simplizissimus ging ich.
    Der Rote-Kreuz-Mann und seine Frau trafen mich und gratulierten mir. Ich schnitt ein gewaltsam fröhliches Gesicht.
    Der Professor behagte mir schon eher. Er sagte mit leicht besorgter Miene: »Ein Künstler soll keine Kinder haben.« Und wie um mich zu trösten, setzte er bittersüß hinzu: »Aber nun ... Es gibt ja auch Ausnahmen.« Wir gingen nachdenklich nebeneinander her. Ich versuchte mit unsicheren Worten mein Glück vorzulügen.
    »Wissen Sie, Herr Professor, eigentlich muß ich immer Reibungen haben, dann erst treibt's mich zum Schaffen«, sagte ich. Er lugte fast forschend auf mich und sagte eigentümlich fragend: »Reibungen? ... Ich hör' da einen seltsamen Ton heraus, Lieber ... Aber«, dabei hielt er eine Sekunde inne und seufzte unmerklich, »seinen Dämon hat jeder ... Ein Dichter mehr als ein anderer Mensch.«
    Ich schwieg. Er sagte auch nichts mehr, bis wir auseinandergingen. Um jene Zeit lernte ich eine Studentin kennen, die oft zwischen den Künstlern saß und eine auffällige Abneigung gegen mich an den Tag legte. »Kommt schon wieder dieser gräßliche Kerl«, hörte ich sie einmal sagen. Ich achtete nicht darauf. Im Gegenteil, das Fräulein gefiel mir von Anfang an ausnehmend. Ganz unvermerkt versuchte ich, ihr von außen her näherzukommen. Die Kunstgewerblerin, welche mir damals die Aushilfe bei der Kohlenmarkenstelle gesagt hatte, war ihre Freundin. Die kannte ich schon länger und gab ihr einmal einige Gedichte und eine Novelle von mir.
    »Und-und zeigen Sie's auch dem schwarzen Fräulein«, sagte ich in hastiger Verlegenheit und lachte ein wenig. Die Kunstgewerblerin nickte spitzfindig und lächelte ebenfalls. Nach wieder einigen Tagen traf ich beide auf der Straße, ging auf sie zu und fragte, wie meine Sachen ihnen gefallen hätten.
    »Sehr gut«, erwiderte die Kunstgewerblerin, aber aus der Art, wie sie es sagte, hörte ich wohl heraus, daß sie nichts gelesen hatte. »Und«, wandte ich mich an die Studentin mit sonderbarer kindlicher Dreistigkeit, »und ... Ihnen hat das Zeug wohl gar nicht gefallen oder?« Merkwürdigerweise spürte ich, wie mir dabei die Röte ins Gesicht stieg. »Ja, doch, ich hab's gelesen ... Sie können sehr viel«, gab sie zurück.
    »Wirklich?« fragte ich und verbarg meine heftige Aufwallung. »Ja, wirklich ... Das, das ist wunderschön: Denn uns ist aller Fremdheit letztes Wesen eingepflanzt von Kind auf, und aller Nächte Süße schweigt an uns vorbei«, sagte sie. Um ja nicht meine Freude zu zeigen, machte ich dummwitzige Bemerkungen und meinte breit herauslachend:
    »Ja, wissen Sie, die meisten Schleichhändler sind lyrisch veranlagt ... Das kommt bloß davon, weil sie

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