Wir sind Gefangene
meistens in der Nacht herumsausen müssen ... Die Dunkelheit ist sehr anregend.«
Die Kunstgewerblerin fand das sehr amüsant und auch das Fräulein lächelte gezwungen.
So fing ganz langsam etwas an, was alle Dichter schon besungen haben und eine wirkliche Entscheidung für mich wurde.
Fast täglich besuchte ich damals Schorsch in seinem neuen Atelier. Maria Uhla war eine überglückliche Mutter. Trotz aller Not bewahrte sie ihre echt frauliche Heiterkeit. Plötzlich mußte sie sich hinlegen und starb nach wenigen Tagen infolge einer Gebärmutterinfektion. Nach dem Begräbnis packte mein Freund einen Rucksack und ging einige Wochen in die Berge. Er schien völlig zerrüttet. Und, als ob wir stets das gleiche durchzumachen hätten - auch Selma erkrankte kurz darauf. Ihre schwere Influenza ging auf das Kind über. Beide mußten ins Krankenhaus. Geld auftreiben hieß es, Geld unter allen Umständen. Ich bezog wieder massenweise von meinem Lieferanten und hetzte herum. Der Holländer half mir schließlich mit einigen hundert Mark. Ich kam zu Selma. »Hast du endlich Geld?« fragte sie.
»Ja, nur keine Angst«, antwortete ich ihr und zeigte ihr die Scheine. Sie atmete auf wie erlöst. »Du bist ein guter Kerl«, sagte sie weich. Sie streckte die Arme nach mir aus und küßte mich.
»Ja, ja, ja ... lob' mich nicht, lob' mich nicht ... Ich tu' ja bloß, was sich gehört«, sagte ich fast abwehrend und verließ sie bedrückt. Am andern Tag kam mein Bruder Maurus, der schon seit einer Woche auf Urlaub zu Hause war. Ich freute mich aufrichtig darüber. Wir redeten wie ehedem von Büchern und Dichtern. Er war ausgesöhnt. Später kam auch Nanndl nach langer, langer Zeit wieder einmal, und wir besuchten zu dritt Selma im Krankenhaus. Abends um elf sollte Maurus wieder abfahren.
»Mensch, hau' doch einfach einem Unteroffizier oder einem Offizier eine herunter ... Verweigere einfach den Befehl oder fahr' nicht mehr hinaus!« sagte ich zu ihm. Er lachte matt und ironisch und schüttelte den Kopf.
»Ja, das kannst du machen ... Ich kann das nicht«, erwiderte er. »Wirst du sehen, du bist keine drei Monat mehr draußen«, sagte ich wiederum, »es kommt unbedingt der Friede oder die Revolution.« »Oh, du Esel!« spottete er ungläubig. Wir aßen in einer Wirtschaft und wurden vergnügt. Ich erzählte von meinen Schiebergeschäften in überheblichen Tönen.
»Soso ... Naja, so was ist sicher einträglicher als dichten«, rief er daraufhin und setzte spitz hinzu: »Ein schlechter Geschäftsmann bist du sicher nicht ... Betrügen kannst du ...«
»Ach was, wenn er nichts hat! ... Es kann ihm doch keiner helfen«, meinte Nanndl. Heiter bummelten wir durch die nächtlichen Straßen. »Jaja, dir geht's sicher nie schlecht! ... Du lügst dich mit einer vollsaftigen Gemütlichkeit durchs Leben ... Hmhm«, spöttelte Maurus und schüttelte ab und zu den Kopf.
Wir begleiteten ihn zum Bahnhof. Ab fuhr er wie hundert andere. Direkt vor Verdun kam er. In die heißeste Front.
»Oskar«, sagte Nanndl beim Auseinandergehen und schaute mir kindlich treuherzig in die Augen, »ich glaub', du mußt noch viel Unglück durchmachen.« Ich lachte gewaltsam auf und spielte den Glücklichen.
»Ah! ... Unglück! Das gibt's überhaupt gar nicht! ... Jeder ist selber schuld, wie es ihm geht! ... Mir geht's sehr gut ... Komm doch öfter«, sagte ich darauf und ging.
XVII
ES GEHT AN
Während ich meinen unsicheren Geschäften nachging, beim Holländer Nächte und Tage trinkend verbrachte, in den Künstlerkreisen verkehrte, während die Zeit hinstrich über all diese Kleinlebigkeit des einzelnen, ich immer wieder eine Flucht in eine unbekannte Stadt überlegte und willenlos der langsamen Zerrüttung unseres Ehelebens freien Lauf ließ, begannen sich mit einem Male die Ereignisse in der Öffentlichkeit zu jagen.
Die Parlamentarisierung Deutschlands hatte angefangen, die Mißerfolge und das Zurückgehen unserer Truppen wurden ruchbar, die Kaiserfrage blitzte auf, offen berichteten die Zeitungen über den Zerfall Österreichs, Magyaren und Tschechen wurden der Feigheit bezichtigt, und als schreckhaftes Zeichen des nahen Niederbruches erschienen die ersten feindlichen Flieger über München. Alarm, gab es. Erst schaute alles neugierig zum Himmel, die Straßenbahnen blieben stehen, kein Mensch fürchtete sich sonderlich. Beim zweiten Mal aber schrak man auf, und die Unruhe kam ins Rollen.
»Der Massenmord muß aufhören!« forderte selbst der biederste
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