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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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geworfen. Alle nächstliegenden und nüchternen Dinge besorgte ich mechanisch. Selma besuchte ich und redete gleichgültig mit ihr. Kaum war ich von ihr weg, hatte ich auch schon wieder alles vergessen. Das Fräulein hatte eine Bürostelle angenommen. Abends traf ich es, redete genauso nebenher. Mit dem Professor unterhielt ich mich über alles mögliche und war nie dabei. Geschäfte machte ich, beim Holländer trank ich, herum lief ich. Alle Ruhe war weg. Keinen Gedanken konnte ich fassen. Hin und wieder, ganz plötzlich, horchte ich auf, wirklich wie ein witternder Hund.
    »Was soll nicht alles meine Sache sein!« brummte ich dann wieder verbissen, wie um mich aufzuhalten, aus mir heraus. Aber das war doch so grundfalsch, so dumm! Alles war doch meine Sache, alles was sich bewegte! Ja, was wollte ich denn eigentlich?
    Fragt einen sinnlos Wütenden, was er will, wenn er sich auf seinen Gegner stürzt! Fragt, was der Eingesperrte will, wenn er in den Zellen nebenan Rebellierende hört, wie sie den Wächter überwältigen, die Gänge durchrennen und entkommen!
    Bewegung, Beunruhigung, nur keinen Stillstand, das vielleicht wollte ich.
    Am Ende hatte Pegu wirklich recht, als er damals sagte: »Du bist Nihilist! Solche Leute sind nichts für eine Revolution !«
    Das Ungewöhnliche hatte mich aus der gewöhnlichen Bahn gerissen. Es ging an! Es war - poetisch ausgedrückt - schon so, als stünde man in einem Meer und warte, bis einen eine riesige Welle ganz hoch, ganz woanders hintrage.
    Was dann kam, war ziemlich gleichgültig. Wenigstens für mich. Ich las das Programm der Bolschewiki , las Landauers Aufruf zum Sozialismus wieder, las revolutionäre Flugblätter und Broschüren. Ach, da wiederholten sich bloß die ewig gleichen Wortwendungen! Was interessierte mich das. Immer losgehen, einfach los! So fing alles bei mir an und hörte auf.

XVIII
ES KRACHT IN ALLEN FUGEN

    Es läutete sehr früh am Morgen. Verschlafen reckte ich mich im Bett und knurrte. Ich wollte nicht aufmachen. Es schlug krachend an die Ateliertür. Ich sprang endlich auf und öffnete. Selmas Vater stand da. Erst zwei- oder dreimal hatte ich ihn flüchtig gesehen. Er war verwitweter Kleinschlossermeister. Seine Kinder hatten ihn verlassen, nur mit dem ältesten Sohn, der Werkmeister war, hauste er zusammen. Aber keiner kümmerte sich um den anderen, jeder lebte für sich. Seit langer Zeit gehörte der Alte einer frommen Brudergemeinde an, trieb Bibelforschung und glaubte an Somnambulismus.
    » Den ? ... Den willst du heiraten?! ... Der hat ja einen Verbrecherkopf! ... Wirst schon sehen, wie lang der Herrgott zuschaut ... Schnurgrad gehst du in die Verdammnis!« hatte er damals zu Selma gesagt, als sie ihm von unseren Eheabsichten erzählte. Erst als das Kind zur Welt kam, ließ er sich wieder sehen. Er sagte wenig, brummte nur ab und zu irgendeinen Bibelspruch heraus, der meistens etwas drohend klang. Die meiste Zeit schielte er fast höhnisch auf mich und lächelte sehr sonderbar. Auch jetzt hatte er dieses Lächeln wieder, nickte zitterig mit seinem großen, struppigen Graukopf und sagte: »Jaja, jetzt geht's schon an ... Sie hat mir's ja nicht geglaubt.« Er richtete seine eingesackten, wässerigen Augen auf mich. »Was denn?« fragte ich mürrisch.
    »Jaja, aus sechs Trübsalen wird er dich erretten, und in der siebenten wird dich kein Übel rühren«, plapperte er heraus und blieb krumm stehen. »Sie liegt im Krankenhaus«, sagte ich und schaute ihn wütend an, weil er so hämisch grinste. »Ich hab's schon erfragt. Ich weiß's schon«, gab er zu und ließ mich nicht aus den Augen. »Wollen wir hingehn?« fragte ich.
    Er nickte und redete etwas von den sieben Engeln mit den sieben Plagen. Ganz abwesend schien er zu sein. Ich ließ ihn stehen, ging ins nächste Zimmer und zog mich an.
    »Glauben Sie vielleicht an keinen Herrgott?« fragte er mich unvermittelt, als ich aus der Kammer kam.
    »Jaja, schon«, gab ich gleichgültig zurück und wollte gehen. »Na also, warum haben Sie's dann geheiratet?« fragte er abermals. Ich mußte ein wenig lachen und meinte: »Das hat doch mit dem Herrgott nichts zu tun ...?«
    Er schaute mich stumpf und öde an und nickte ein paarmal: »Soso, soso ...« Seltsam eingelernt, ohne Betonung plapperte er wieder heraus: »Der Geist aber saget deutlich, daß in den letzten Zeiten werden etliche von dem Glauben abtreten und anhangen den verführerischen Geistern und Lehren der Teufel...« Er hielt inne und erzählte so,

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