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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Arm meiner Begleiterin, streifte leicht ihre Hüften. Hitze und Kälte stiegen abwechselnd auf, ich wollte über sie herfallen wie ein ungeschlachtes Tier und nahm mich fest zusammen. Ich dachte mit dumpfer Verzweiflung an Selma und fing schnell wieder ein Gespräch an. Mittendrinnen lachte ich oft tölpisch auf. Meine Zähne schlugen aufeinander.
    »Frieren Sie?« fragte das Fräuleiin. »Nein-nein, das ist immer so ... Ich bin jetzt immer so gehetzt«, log ich. Ich konnte nicht mehr schlafen. Ich lief nächtelang herum, überlegte hin und her und ging schließlich wieder mit Dirnen. Sie widerten mich an, aber, ach was, bloß die Unruhe loskriegen, dachte ich. Doch die blieb. Eine Hure war so dick, daß ich davonlief vor grausigem Ekel. Taumelnd wankte ich auf der Straße dahin. Du gehörst am Ende doch ins Irrenhaus, ging mir durch den Kopf. Ich ließ die Huren. Wie ein wildgewordener Stier rannte ich sozusagen durch die Revolution, durch Tag und Nacht.
    Immer größer wurde die Verwirrung. Ganz heimlich suchte ich ab und zu die Kirche auf und versuchte zu beten. Dumm und einfältig. Auch das half nichts, gar nichts. Schrecklich. Ich versuchte mit aller Kraft einen ordentlichen Entschluß zu fassen, allein sogleich zerbröckelte alles wieder. Ich wurde mürrisch und ratlos.
    Schorsch kam und sagte: »Du, jetzt ist die Polizei erledigt. Jetzt gehn wir hin und holen uns unsere Papiere und sagen dem Spitzel Fuchs richtig die Meinung.« Wir gingen auch schon. Auf einmal sagte ich: »Ach was, das ist ja lauter Unsinn! Auf das kommt es doch gar nicht an!« Wir streunten durch die bewegte Stadt.
    »Diese ganze Revolution ist nichts«, murrte ich. »Einen einzigen Tag haben sie ein wenig Krach gemacht und jetzt! Was tun sie jetzt? ... Jetzt fangen sie schon wieder an mit dem Aufräumen. Ist doch nichts da zum Aufräumen!« D»epp!« schimpfte mein Freund.
    »Hast du vielleicht schon was gespürt von der Revolution?« fragte ich plump.
    »Nein, das nicht... Ja, aber das geht auch nicht so schnell«, war die Antwort.
    »Ich auch nicht ... In der gleichen Scheiße hocken wir noch«, schimpfte ich. Ich lief auf einmal weg, holte das Fräulein und besuchte mit ihm Selma. Wir nahmen das Kind und brachten es nach Berg zu meinen Leuten. Auf dem Dorf war es wie immer. Jeder arbeitete, die Erlasse hingen zerregnet im Gemeindekasten, kein Mensch sah sie an. Niemand kümmerte sich hier um die Ereignisse. Keiner sagte auch nur ein Wort davon. Meine Mutter lachte uns an, als wir in die niedere Küche traten, mein Bruder Maurus, der erst kurz vom Feld heimgekommen war, hackte Holz im Hof, Theres nähte in der Stube. Wir tranken Kaffee, und alle schauten das schreiende Kind an.
    »Da! Da hast du es jetzt mit deinem Heiraten, Herr Ehemann«, spöttelte Theres. Mutter erkundigte sich nach Selma.
    »Geht's in der Stadt drinnen recht zu?« fragte Maurus gleichgültig.
Ich wollte erzählen. Er lächelte ironisch: »Die Hauptsach' ist, daß der Krieg aus ist. Die machen auch nichts besser.«
»Aber jetzt regieren wir!« prahlte ich dumm.
    Er sah mich hämisch an und rief: »Ihr? ... Da wird gewiß was Gescheites draus! ... Da heraußen kümmert sich ja doch keiner was drum.« Und weil ich schwieg, fing er abermals an: »Das sind ja lauter Esel! ... Da hat keiner einen Dunst vom Land ... Und so naiv wie die Kerle sind! Jeder Bauer hat jetzt sein Militärgewehr im Haus ... Da paß' auf, wie's da kracht, wenn die kommen und was wollen! ... Sollen nur so fortmachen!« Er schüttelte den Kopf: »Solche Esel! ... So verrückte Deppen!«
    Wir verabschiedeten uns. Hinten beim Dorf gingen wir über die stoppeligen, winterstarren Felder. Ein Hase lief aufgescheucht eine Ackerfurche entlang. Raben flogen krächzend in der Luft, die Postkutsche fuhr auf der Straße und aus meinem Schuldorf Aufkirchen liefen die Kinder.
    »Herrgott, das tut direkt wohl«, sagte ich stehenbleibend und holte Atem, »mir graust vor der Stadt.«
Eine leichte Traurigkeit empfand ich.
    »Da machen sie Kriege und Revolutionen und rennen herum und kämpfen, lassen sich totschießen für fixe Ideen, machen Gesetze, verbieten und verhaften ... Und da heraußen, rundherum geht alles den gewöhnlichen Gang: der Bauer ackert, das Korn wächst, es wird Winter und Sommer, die Menschen fangen an und sterben, und alles ist friedlich und schön ... Zu was eigentlich dieser ganze Rummel?« sagte ich abermals und schaute das Fräulein an. Ganz ruhig und frei wurde es in meinem Hirn. Ein

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