Wir sind Gefangene
jäher Wunsch flog in mich hinein. Ich wollte das Fräulein umschlingen. Auf einmal aber sagte ich beinahe hastig: »Aber wissen Sie, so allein da draußen sein - ich würde sterben vor Langeweile ... Es ist schon gut, daß immer Unruhe ist ... Immer muß Revolution sein!«
Das Fräulein lächelte und meinte: »Sie wissen ja selber nicht, was Sie wollen.«
Wir gingen weiter, und ich schlug einen leichteren Ton an. Die Fahrt nach München verlief mir zu schnell.
Da war schon wieder ein Wirbel. Eisner hatte eine Zusammenarbeit mit dem Berliner Auswärtigen Amt abgelehnt und mit einem bayrischen Sonderfrieden gedroht. Ein ungeheurer Sturm erhob sich in den darauffolgenden Tagen in der norddeutschen Presse. Pegu schrieb einen Brief. Er war von den Revolutionären am 9. November aus dem Militärgefängnis befreit worden und stand mitten in der wildesten Bewegung in Berlin. Dort ging es viel heftiger zu. Straßenkämpfe gab es.
Es war fast ein wenig komisch mit diesem wilden Durcheinander: Nach hartem Hin und Her hatten die bittersten Feinde Mehrheitssozialdemokraten und Unabhängige - die provisorische Reichsregierungsgewalt übernommen und nach einer Konferenz mit den Bundesregierungen die Wahlen zur Nationalversammlung beschlossen. Jeden Tag waren die Zeitungen voll von wirren Erlassen, die bald kein Mensch mehr las.
»Ruhe und Ordnung! Friede! Kein Blutvergießen! Keinen Brudermord! Nie wieder Krieg!« tönte aus all diesen Kundgebungen. Man war durch und durch pazifistisch von links bis rechts, aber man bekämpfte sich mit allen Mitteln, man schoß aufeinander wie im Krieg. Jede Partei predigte Versöhnung, strebte aber unentwegt nach alleiniger Macht.
Auf der einen Seite standen die Ebert, Scheidemann, Landsberg, Barth, Haase und Dittmann mit den von Wels und alten Offizieren geführten Truppen, auf der anderen der Spartakusbund mit Liebknecht, Rosa Luxemburg und Ledebour und den Massen. »Nieder mit der Nationalversammlung! Gegen die Landtags wählen in den Landern! Alle Macht den Räten!« war die Parole der rebellischen Tausend und aber Tausend. Der Spartakusbund hatte eine offene Zentrale in Berlin gegründet, und so trug sich die Bewegung in alle Länder, Provinzen und Städte.
Auch in München gruppierten sich die neuen Parteien und begannen ihre Wahlarbeit. Auch hier stauten sich die Massen in den Sälen. Einmal hörten sie auf Eisner und Toller, dann wieder auf die Mehrheitssozialdemokraten Auer, Schneppenhorst und Timm. Mehr und mehr aber gewannen die Spartakisten Mühsam, Levien und Levine Anhang. Die riefen offen zum Kampf gegen die Regierungen auf. Die Eroberung der Macht durch das Proletariat forderten sie. Um sie herum scharten sich die Unzufriedenen und wälzten sich durch die Straßen. Das blieb nicht still, das wollte alles keine Ruhe, das lief so dahin und wartete auf das Notwendigste, auf Essen, Schuhe, Kleidung, Wohnung und Rache für erlittenes Unrecht. Ganze Familien waren dabei, Vater, Mutter, Tochter, Sohn und Schulkind. Dann kam wieder Polizei oder die republikanische Schutztruppe auf Lastkraftwagen. Drohend richteten sich die Maschinengewehre auf die weichenden Züge, eine Salve knallte in die Luft, alles lief, alles schrie, stürmte wieder vor und lief beim zweiten Krachen abermals schreiend und fluchend auseinander.
»Bluthunde! Massenmörder! Verräter!« klang es von überall her. »Nieder! Nieder!« dröhnte es tausendstimmig durch die Straßen. Das Vertrauen zu Eisner schwand langsam, die Verbitterung wuchs. Die Zeitungen logen und hetzten. Die Zensur war abgeschafft. Alles konnte erzählt werden. Die unsinnigsten Gerüchte fanden Glauben und steigerten die Unruhe.
Einmal rannten Scharen in die nächtliche Stadt und besetzten sämtliche Zeitungsdruckereien. Im Hofraum des M ünchner Tageblattes hielt Mühsam eine Rede über die nunmehrigen Maßnahmen und die solchermaßen sozialisierte Presse. Die alten Redakteure wurden abgesetzt, und schon wollte man mit der Arbeit für das neue Blatt beginnen. Die Druckereiarbeiter schienen gewonnen, denn ihnen war Beteiligung am Reingewinn versprochen worden. Auf einmal aber erschienen Eisner und der damalige Polizeipräsident Staimer mit einer Truppe Sicherheitswehr. Ein Blutbad drohte. Eisner verschwand im Zeitungsgebäude, und als er wieder auftauchte, erfuhr man, daß er heimlich in die Druckereiräume gegangen sei und die Arbeiter heimgeschickt habe. Bestürzt sah sich alles an. Dann gellten Hohnrufe und Flüche auf. Eisner und
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