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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Staimer fuhren weg, die Truppe zog ab, verärgert zerstreute sich die Menge. Am andern Tag erschien nur ein einziges Flugblatt, dann aber gab es wieder jeden Tag die üblichen Tagesblätter. Uneingeschüchtert logen sie weiter.
    »Da hast du recht! Das ist die Revolution Eisners!« schimpfte ich, als Schorsch mir begegnete. »So ist die deutsche Revolution! Wenn man anfangen will - gleich kommen die Herren Regierer mit Soldaten, und wenn nicht gefolgt wird, wird geschossen! Nett, nett so was!« Ich verwünschte alles in Grund und Boden. Ich war traurig und verbissen. Diese Münchner Revolution war ein Gaudium für ihre Gegner. Sie war langweilig, sie war harmlos, sie war unerträglich. Sie war eine Posse, und Hoch dazu eine schlechte. Der König war abgesetzt, ja! Überall entfernte man mit großem Eifer die Hoflieferantenwappen. In den Versammlungen redeten sie große Töne, dann zog man wieder mit Fahnen und Geschrei durch die Straßen wie ein polternder Veteranenverein. »Nieder!« und »Hoch!« schrie man und wußte kaum warum. Die Reichen lebten noch genauso herrlich und in Freuden, sie hatten sich mit Hamsterwaren eingedeckt, saßen in den vornehmen Hotels und Restaurants, und kein Mensch krümmte ihnen ein Haar. Drohende Erlasse gegen das Schiebertum klebten überall, aber die Gemeinten lachten höhnisch darüber. Die Bürger schimpften schon wieder, die revolutionsfeindlichen Parteien trieben dreisteste Hetze, die Zeitungen spotteten über Eisner, die Studenten konspirierten, und die Arbeiter wurden verhaftet oder beschossen, wenn sie mit Forderungen kamen.
    Die Intellektuellen und die Künstler rührten sich jetzt. Der »Künstlerrat« hielt eine große Versammlung im Deutschen Theater ab. Reform der Akademie, der Kunstgewerbeschule, Reorganisation des Kunstunterrichts sollten besprochen werden. Eisner erschien und sprach eine Stunde lang glänzend. Kaum aber hatte er geendet, war auch schon alles durcheinander. Man beschimpfte sich gegenseitig, man hinderte sich am Reden. Dem sprach man die Berechtigung ab, sich Künstler zu nennen, dem andern schickte man Einladungen zur Kirchweih. Ein wahlloses Gezeter gegeneinander hüb an. Jeder schrie, jeder fuchtelte, jeder redete auf seinen Tisch ein. Es war höchst drollig. Der Maler Stanislaus Stückgold erzwang sich endlich das Wort, stieg, trotzdem ihn die wüstesten Drohungen umzischten, auf die Bühne, stellte einen Stuhl auf den Rednertisch, legte sich breit drauf und schaukelte ihn, während er sprach, immerzu langsam hin und her, auf und nieder, daß es Eisner, der ein Stuhlbein in der Hand hielt, ab und zu etwas emporwippte.
    »Sie sind überhaupt kein Maler! Sie können ja nicht einmal einen Pinsel in die Hand nehmen!« schrie wer.
    »Dekorationskitschje!« plärrte ein rotbärtiger Mensch aus einer Ecke und warf die Fäuste.
    »De-koration?!« übertönte endlich Stückgold alle. »Jawohl, sähr richtig! Ich bin Dekorationsmalär! ... Woo-s haben Sie überhaupt, meine Häärn?! ... Zu wos disse Auf-reggung! ... Woos ist Kinsdlär? ... Prolätariär!« Und er zeigte mit dem Finger auf seine Stirn, dann auf seinen Leib: »Hier ist Hirn, hier ist Bauch und Magän - dos ist Kinsdlär! Prolätariär!« Ein tolles Geschrei übertönte ihn. Ein Tumult, ein wahrer Orkan von Geschrei folgten. Endlich ging man auseinander.
    In der Wohnung des damaligen Finanzministers Jaffé war eine Zusammenkunft. Einen »Rat geistiger Arbeiter« wollte man gründen. Ich ging hin. Man erwog die Aufklärungsarbeit durch die Presse, Schulreform und Mitbestimmung der Intellektuellen bei sonstigen kulturellen Fragen.
    Recht gewichtig lief der schmalgesichtige Katzenstein herum, dort saß Karl Wolfskehl; in einer Ecke, sehr bescheiden, lehnte Rilke; der Lyriker Wolfenstein mit seiner schwarzen Hornbrille kam mir zu Gesicht. Lauter feine, gebildete Leute sah ich hier, bei denen man roch, daß sie nie mit dem Volk was zu tun gehabt hatten. Schon wieder kam mir der Ärger. Ein nicht sehr großer, festunterwachsener Mann in pfarrermäßiger Kleidung, mit breitem Gesicht, rotem Vollbart und gefurchter Stirn trat vor. Er schnaubte nervös und schien sehr geladen zu sein. Sehr kritisch sah er auf all diese Leute. »Es müßten Flugblätter zur Aufklärung, zur Beruhigung geschrieben und verteilt werden«, meinte Katzenstein. »Es muß unbedingt beruhigend auf die Massen eingewirkt werden«, wiederholte ein Literat mit spitzer Stimme. Die Masse sei undiszipliniert, das Volk auf dem Land sei

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