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Wir sind Gefangene

Wir sind Gefangene

Titel: Wir sind Gefangene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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entgegen. »Herrgott, war das eine Sitzung heut' nacht, wunderbar!« plapperte ich und erregte schon wieder die größte Heiterkeit. Wenngleich ich mir den Grund nicht recht erklären konnte, schmeichelte dies doch meiner Eitelkeit. Und, dachte ich mir, die Leute sind ja wunderleicht zu unterhalten, da kannst du dich einnisten.
    Ich setzte mich hin, trank voll Behagen den starken Kaffee, verschlang mit größtem, gierigsten Appetit die weichen Eier, den zarten Schinken und die Butterbrote. Langsam kam ich sozusagen wieder zu mir. Erst gegen Mittag kehrte ich in die Stadt zurück, öfter, immer öfter kam ich in die Holländervilla und wohnte zuletzt ganz dort. Rührend war es, wie man kurze Tage darauf Eisner begrub. Ein unübersehbarer Zug setzte sich von der Theresienwiese aus in Bewegung. Von allen Gauen Bayerns war das Volk zusammengekommen. Voran marschierten die Penzberger und Haushamer Bergleute in ihrer schwarzen Tracht, dann folgten Tausende und aber Tausende. Nicht nur die vielen, vielen Abordnungen führten Kränze mit sich, ich sah weinende Arbeiterfrauen und hart dreinschauende Proletarier, die für den Toten eine letzte Blumengabe trugen. Das ganze revolutionsfeindliche München gaffte. Die geeinten Unteren marschierten, die Masse zeigte sich groß und ungeheuer. Seit dem 7. November hatte ich nie wieder einen solchen Riesenzug gesehen. Auf dem winterlichen Holzgehäuse des Springbrunnens am Sendlinger-Tor-Platz hockten Kopf an Kopf die Zuschauer. Auf einmal krachte das Dach und brach mit der Last durch, unter furchtbarem Geschrei fielen alle in das eisigkalte Wasser und arbeiteten sich raufend und schlagend wieder heraus. »Soll'n nur alle dersauf'n, die reaktionären Hund'!« brummte ein Arbeiter. Alles belachte den Zwischenfall.
    Der Ostfriedhof war so voll, daß nichts zu sehen war als Köpfe und Fahnen. Gustav Landauer hielt die Gedenkrede, aber keiner hörte ihn, viele feierten den Toten. Es war wirklich, als das letzte Hoch auf die Revolution erschallte, als schrie die Erde selber.

XXIII
IM STURM UND IM SUMPF

    Das Fräulein fuhr eines Tages nach Berlin zu seinen Eltern. Lästig, nun hatte ich keinen Menschen mehr, mit dem ich mich von Zeit zu Zeit aussprechen konnte. Pegu war schon länger in Blankenburg und tauchte nur hie und da auf. Zu meinem klumpfüßigen Zimmerherrn war eine Berliner Freundin gekommen, die mit ihm droben im kleinen Kämmerchen zusammen hauste. Der Mann war den ganzen Tag irgendwo im Landtag oder in der Stadt, seine Geliebte immer mit ihm. Um Schorsch waren stets die merkwürdigsten Leute. Allein traf ich ihn nie. Ein halbfertiges Ölbild stand auf seiner Staffelei im Atelier, er hatte die Arbeit liegen gelassen, und der Naturapostel Gusto Gräser logierte bei ihm. Der war gekommen und nicht mehr weggegangen. Die meiste Zeit lag er faul auf dem Diwan, klagte, er sei krank, und wenn er sich aufrichtete, fing er an in predigerhaftem Ton allerhand Stellen aus chinesischen Philosophen, aus Nietzsches Zarathustra und aus seinen eigenen Aufzeichnungen zu zitieren. Er war Vollblutvegetarier, hatte lange, wallende Christushaare, einen ebensolchen Voll- und Schnurrbart, trug eine Art Toga aus Sackleinwand auf dem Leib, die mit Holzstäbchen zusammengehalten war, darüber einen breiten Ledergürtel, darunter eine kurze Hose und an den Füßen Ledersohlen, die er mit Spagatschnüren festgebunden hatte. Er aß nur Obst, Gemüse und Brot und trank Wasser. So sanft war er, daß er nicht einmal seine Läuse und Flöhe tötete; so völlig hatte er sich der Natur genähert, daß er wie eine Ziege stank. Er gab vor, sich nur in Quellwasser zu waschen, und da es in der Stadt keine Quelle gab, wusch er sich überhaupt nie. Er predigte selbstverständlich gänzliche Abkehr von der Zivilisation, trug in seinem umgehängten Lederbeutel braune, viereckige Blätter, auf denen seine Ideen in aphoristischer Form gedruckt waren und verkaufte oder verteilte diese ab und zu. Ich kam einmal zu Schorsch und erschrak förmlich über die Verwüstung seines Ateliers. Schweigend und feindlich glotzte ich Gräser an. Mein Freund zog sich an, um mit mir zu gehen. Er knöpfte sich die Weste ein.
    »Knöpfe ... Das ist ... a-ah ... das ist sinnwidrig ... sehr sinnwidrig«, murmelte der Apostel. »Komm«, sagte Schorsch und ging mit mir. »Mensch, was hast du denn da für ein Ungeziefer bei dir?« fragte ich ihn auf der Treppe.
    »Ich bring' ihn nicht mehr los«, war die Antwort. »Was? ... Schmeiß ihn doch

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